
© Manfred Thomas
Landeshauptstadt: Nicht ohne mein Klavier
Ellen Sagradov ist erst acht Jahre alt, hat aber schon jetzt eine erstaunliche Fingerfertigkeit an ihrem Instrument – dem Klavier
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Es ist ein kalter und nasser Januartag, daran kann auch der leuchtende Weihnachtsstern, der über dem Hauseingang hängt, wenig ändern. Doch aus dem Haus dringt eine ganz andere Stimmung, durch Wand und Tür gedämpft, aber doch deutlich vernehmbar: fröhlich hüpfende Klavierakkorde. Franz Schubert hatte sie dereinst komponiert und mit seinen „Moments Musicaux“ der Nachwelt hinterlassen.
Wenige Sekunden nachdem hier im Potsdamer Kirchsteigfeld unterm Weihnachtsstern der letzte Klavierton entschwebt ist und die Klingel an der Tür Besuch angekündigt hat, steht Ellen Sagradov in der Haustür, begleitet von ihrer Mutter. Auch der Familienhund und der Kater machen dem Besucher sogleich ihre Aufwartung. Ellen, jenes achtjährige Mädchen, das eben noch im Wohnzimmer auf einem braunen Geyer-Klavier Schubert gespielt hat, wirkt zurückhaltend und fröhlich zugleich, so als verspüre sie jetzt eine stille Freude, in den folgenden Minuten etwas von sich erzählen zu können.
Und dann beginnt sie zu berichten von ihrer Leidenschaft, dem Klavierspielen, das sie so außergewöhnlich gut beherrscht. Ihre beiden Brüder, die viel älter sind, habe sie früher immer zu Hause Klavier spielen hören. Da wollte sie nicht nachstehen, erzählt Ellen. Sie setzte sich selbst ans Instrument und probierte es einfach aus. Im Alter von sechs Jahren habe Ellen mit dem regelmäßigen Klavierspiel begonnen, sagt Mutter Julia Sagradova. Seitdem scheinen Ellen und das Klavier unzertrennliche Freunde geworden zu sein.
Einmal, so sagt ihre Mutter, sei die Familie für zwei Wochen in den Urlaub gefahren. Ein Klavier gab es im Feriendomizil nicht. „Das war schon ein bisschen langweilig“, meint Ellen rückblickend. Drastischer, aber mit einem Schmunzeln, formuliert es ihre Mutter: „Sie hat überlebt.“ Als die Familie mitten in der Nacht aus dem Urlaub nach Hause zurückkehrte, da habe sich ihre Tochter erst einmal sofort ans Klavier gesetzt. Zwei Wochen Klavierentzug – für Ellen war das zu lang.
Doch auch an normalen Tagen seien es nicht Stunden, die ihre Tochter am Klavier verbringe, sagt die Mutter. Im Durchschnitt vielleicht eine halbe Stunde täglich spiele Ellen auf ihrem Instrument. Der Achtjährigen selbst, die im Februar 2006 in Potsdam geboren wurde, ist es egal, wie lange sie übt: „Weiß nicht, guck nicht auf die Uhr“, sagt sie – und man merkt ihr dabei an, dass es ihr um die Musik und nicht um irgendein Pensum geht. Schon früh habe ihre Tochter begonnen, nach dem Gehör zu spielen, erinnert sich Mutter Julia Sagradova. Auch das Improvisieren hatte es Ellen angetan. „Und dann dachten wir, oh, das muss man sie lehren“, sagt Julia Sagradova. Als sie vor gut zwei Jahren mit dem Klavierunterricht begann, habe zunächst eine Potsdamer Lehrerin Ellen unterrichtet, jetzt erhält die Achtjährige Klavierstunden in Berlin bei der Klavierprofessorin Natalja Gussewa. Zwei Unterrichtsstunden in der Woche nehme Ellen dort, sagt ihre Mutter.
Das technische Niveau des Mädchens mit den langen braunen Haaren ist beeindruckend. Mit ihren knapp neun Jahren hat Ellen schon eine große Fingerfertigkeit erlangt – und scheint damit ihrer musikalischen Reife momentan sogar ein Stück voraus zu sein. Ende vergangenen Jahres, also nur rund zwei Jahre nach ihrem ersten Klavierunterricht, gab das zierliche Mädchen bereits ihre ersten beiden öffentlichen Konzerte. Sie trat gemeinsam mit ihrer Lehrerin, die selbst auch einen Teil des Programms bestritt, im Babelsberger Rathaus auf. Ein bisschen Aufregung sei schon dabei gewesen, „aber nicht viel“, sagt Ellen. In dem Konzert spielte sie unter anderem die Italienische Polka von Sergei Rachmaninoff – ihrem Lieblingskomponisten. Auch Chopin mag sie sehr. Derzeit übe sie an einer Fantasie von Mozart, sagt Ellen. Das Auswendigspielen scheint ihr keine große Mühe zu bereiten. Sie lerne sehr schnell, sagt ihre Mutter.
Manchmal malt Ellen auch Bilder zu den Musikstücken, die sie gerade spielt. Zu Tschaikowskys Lerchengesang beispielsweise hat sie einen Vogel gezeichnet, dem aus dem Schnabel Noten entschweben. Auf einem anderen Bild sind zwei Menschen zu sehen, die sich an der Hand halten. Mehrere bunte Luftballons um sie herum steigen in die Höhe. Eine Torte mit Kerzen steht in der Nähe. Es ist die Fröhlichkeit von Rachmaninoffs Italienischer Polka, die Ellen hier mit bunten Stiften zu Papier gebracht hat.
Mit ihren Eltern, die beide keine Musiker sind, spricht die Achtjährige zu Hause Russisch, wie ihre Mutter erzählt. Sie selbst und ihr Mann stammten aus der Ukraine, ihre Muttersprache sei Russisch. Neben der Klaviermusik liebt Ellen das Ballett und nimmt einmal in der Woche entsprechenden Unterricht. Gerne schreibe sie auch Gedichte, sagt Ellen. Fernsehen schaue sie übrigens nicht, dafür aber Filme auf dem Computer. Zurzeit sehe sie mit Freude eine Pferdeserie sowie eine Meerjungfrauenserie. Welchen Beruf Ellen später ergreifen möchte, weiß sie noch nicht. Sie könne sich verschiedenes vorstellen, unter anderem Mineralogin, Tierärztin oder – nun ja: Pianistin.
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