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Landeshauptstadt: Nicht zu glauben

Erinnerungen an die deutsch-deutsche Nacht der Nächte: Wie Potsdamer den 9. November 1989 erlebten

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Erinnerungen an die deutsch-deutsche Nacht der Nächte: Wie Potsdamer den 9. November 1989 erlebten Am Abend des 9. November 1989 kam Jann Jakobs hundemüde nach Hause. Den ganzen Tag lang hatte er auf der Baustelle, die später sein Spandauer Eigenheim werden sollte, Fliesen geklebt. Schon dabei wähnte sich der heutige Potsdamer Oberbürgermeister „auf dem absteigenden Ast“ – denn: „Da draußen passierte die Weltrevolution, das hat man ja gespürt, und ich klebte Fliesen.“ Als er dann geduscht und mit einem Bier vor dem Fernseher saß, die Maueröffnung verkündet wurde, hielt ihn nichts mehr auf dem Sofa: „Wir sind sofort zum Grenzübergang Staaken, doch da wurde erst so um halb drei geöffnet.“ Bis dahin hatten sich die Wartenden Schritt für Schritt den Grenzanlagen genähert. „Heute bin ich sehr dankbar, dass ich mich damals aufgerafft habe und losgefahren bin“, sagt Jakobs. „Ich hätte es mir im Leben nicht verziehen, wenn ich schlafen gegangen wäre – auch wenn ich nach der Nacht eine wahnsinnige Erkältung hatte.“ * * * Steffen Freund verbrachte den Abend des 9. November bei seinen Eltern in Brandenburg (Havel). Als über das Fernsehen die Nachricht kam, die Grenzen würden geöffnet, „konnte ich das gar nicht so richtig glauben“, sagt der Fußball-Profi und Neu-Potsdamer. „Ich, wir alle, waren positiv schockiert.“ Nach Berlin, zum überfüllten Kurfürstendamm, fuhr Steffen Freund erst zwei Tage nachdem die Mauer gefallen war. Dennoch: „Der 9. November 1989 war für mein Leben entscheidend.“ Über Nacht haben sich für den Fußballer „alle Möglichkeiten ergeben“. Er spielte bei Borussia Dortmund in der Bundesliga, wurde Deutscher Meister und Champions League-Sieger, lief für die gesamtdeutsche Nationalmannschaft auf, kickte in der englischen Premier League: „Ich bin total dankbar für diesen Tag.“ * * * Eine seltsame Fügung brachte der 9. November 1989 für Christian Möstl. Den Abend hatte der damals 18-Jährige in der Potsdamer Diskothek „Insel“ verbracht, doch die Stimmung war keineswegs ausgelassen. „Als ich mit einem Freund nachts nach Hause ging, hatten wir beide die feste Absicht, irgendwie rüber zu kommen.“ Auch, weil Christian Möstls Mutter seit 1981 in Hamburg lebte. Der Gedanke, die DDR zu verlassen, ließ den jungen Mann nicht einschlafen, er schaltete das Radio ein – und hörte, dass die Grenzen offen sind. Er glaubte es nicht, wartete auf die nächsten Nachrichten. Sie sagten es noch einmal. Dann weckte er den Freund, mit dem Rad fuhren sie nach Dreilinden, hielten auf der Autobahn einen Trabbi an – dessen Fahrer meinte, er brauche den Wagen nun nicht mehr und schenkte ihn den jungen Männern. „Wir sind die ganze Nacht durch Berlin gefahren, ohne Führerschein.“ In der nächsten Nacht besuchte Christian Möstl dann seine Mutter in Hamburg – zuhause ist er aber heute noch in Potsdam, wo er zusammen mit seiner Frau Franziska Knuppe lebt. * * * Ihre Geschichte vom Tag, an dem die Mauer fiel, nennt sie selbst „total unspektakulär“. 14 Jahre alt war sie damals, und habe gewusst, „dass etwas passiert“. Doch ihre Eltern wollten abwarten, schickten ihre Tochter ins Bett. Was sich geändert hatte, erfuhr Franziska Knuppe erst am nächsten Morgen – und durfte es nicht erkunden: Den Ausflug nach Westberlin sollte sie nicht allein oder mit Schulfreunden unternehmen. „Zu gefährlich“, befanden die Eltern. Stattdessen fuhren sie gemeinsam nach Berlin, nach Steglitz, holten das Begrüßungsgeld ab – und mit ihnen Massen von Menschen. Danach konnte auch Franziska Knuppe, die heute als Top-Model nicht nur für Designer Wolfgang Joop wie selbstverständlich rund um die Welt jettet, in der Schule einen West-Einkauf vorweisen. * * * Michael „Bodenski“ Boden, Gitarrist der Potsdamer Kult-Band „ Subway To Sally“, erinnert sich eher an den 10. November: „ Ich war am 9. November allein zu Hause und verfolgte auch die Pressekonferenz von Schabowski. Allerdings war ich naiv genug sie falsch zu verstehen und dachte, dass Reisen in den Westen jetzt zwar einfacher würden, aber eben trotzdem noch ein bürokratischer Akt – da bin ich peinlicherweise einfach schlafen gegangen. Am nächsten Tag hatte sich dann die Welt fundamental verändert.“ Dann erst ist er mit Freunden über die Glienicker Brücke nach Westberlin gefahren: „Dort standen wir mit unserem Trabant lange im Stau. Es war aber ein erhebendes Gefühl, gerade über diese Brücke zu fahren – wegen der Geschichten über den Austausch von Spionen. Auf der anderen Seite wurden wir mit Sekt empfangen und unser Auto durchgerüttelt“, erzählt Michael Boden. SCH/HK

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