Landeshauptstadt: „Niemand weiß damit umzugehen“ Behindertenvertreter kritisieren Neuregelung
Behindertenvertreter kritisieren die Umsetzung einer neuen Sozialgesetzregelung in Potsdam. Mit dem seit Januar 2008 eingeführten „Persönlichen Budget“ sollen Menschen mit Behinderungen erstmals die Wahl haben: Sie können sich die ihnen zustehenden Sachleistungen, zum Beispiel vom Sozialamt oder den Pflegekassen, auf Wunsch auch bar auszahlen lassen.
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Behindertenvertreter kritisieren die Umsetzung einer neuen Sozialgesetzregelung in Potsdam. Mit dem seit Januar 2008 eingeführten „Persönlichen Budget“ sollen Menschen mit Behinderungen erstmals die Wahl haben: Sie können sich die ihnen zustehenden Sachleistungen, zum Beispiel vom Sozialamt oder den Pflegekassen, auf Wunsch auch bar auszahlen lassen. „Diese Wahlfreiheit fördert die Selbstbestimmung behinderter Menschen“, heißt es dazu auf der Webseite des Bundessozialministeriums.
Anja L. hat andere Erfahrungen gemacht: Anfang Januar stellte die 29-jährige Potsdamerin einen Antrag auf Begleitung zu Kulturveranstaltungen am Abend. Denn die Sozialpädagogin hat einen abgestorbenen Sehnerv: „Wenn es dunkel wird, kann ich kaum noch sehen.“ Bisher hatte ihr Antrag allerdings keinen Erfolg: Nachdem sie ihn bei der Servicestelle für das „Persönliche Budget“, der Barmer-Krankenkasse, eingereicht hat, sei er an verschiedene Stellen weitergereicht worden. Ohne Ergebnis. Sie solle doch überlegen, Kulturveranstaltungen bei Tage zu besuchen, habe ihr ein Sachbearbeiter des Sozialamtes am Telefon geraten. Der Antrag werde „unnütz verzögert“, glaubt Anja L., die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, weil sie befürchtet, dass die Bearbeitung dann noch länger dauert: „Wenn jemand Soforthilfe braucht, muss er wochenlang warten“, beschwert sie sich.
Diese Einschätzung teilt Hans-Eberhard Bewer, der Vorsitzende des Behindertenbeirates: Es sei „unverständlich“, dass Antragsteller „von einer Stelle zur nächsten geschickt werden“. Die vorgesehenen persönlichen Gespräche hätten bisher nicht stattgefunden. Stattdessen seien Anträge „mit fadenscheinigen Begründungen“ abgelehnt worden. Ihm seien bisher drei derartige Fälle bekannt, so Bewer. Auch Jürgen Becker, der Vorsitzende des Potsdamer Behindertenverbandes, zeigt sich „enttäuscht“ über die Umsetzung der Regelung: „Wir wissen von niemandem, dem das Budget bisher zuerkannt wurde“, sagt er: „Das Problem ist, dass niemand richtig weiß, wie man mit diesem Thema umgehen soll.“
Ein Anruf bei der Barmer-Krankenkasse bestätigt diesen Eindruck: „Persönliches Budget?“, fragt die Call-Center-Dame: „Ich weiß jetzt nicht, was Sie meinen.“ Noch zwei Mal muss der Anrufer die Neuregelung erklären, ehe er richtig verbunden wird. Die Weiterleitung eines Antrages – wie im Fall von Anja L. – sei korrekt, erklärt schließlich Christiane Göldner von der Potsdamer Servicestelle: „Wenn wir als Pflegekasse nicht erwähnt sind, wird der Antrag weitergeleitet.“
Das sieht Sozialamtsleiter Andreas Ernst anders: Es sei Aufgabe der Institution, die den Erstantrag erhalten hat, ein Gespräch mit den Betroffenen zu organisieren. „Das mag in einzelnen Fällen noch nicht so rund laufen“, räumt er ein. Ihm seien aus dem Sozialamt keine Fälle bekannt, in denen es Probleme gab. Bisher zählte er insgesamt neun Anträge.
Einen Tag nach den PNN-Recherchen meldet sich Anja L. noch einmal telefonisch: Sie habe nun einen Gesprächstermin im Sozialamt im April. Jana Haase
Infoveranstaltung zu „Persönliches Budget“ im Haus der Begegnung, Zum Teufelssee 30. Termin: 27. März, 16 Uhr.
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