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PNN-Serie: Studium anno 1958: Nilschlamm und Muckefuck

Das Mensa-Essen an der Pädagogischen Hochschule Potsdam changierte 1958 zwischen Kräutertee und Grützwurst. Vitamine waren Mangelware.

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Josef Drabek, 1939 in Böhmen geboren, studierte von 1958 bis 1962 an der Pädagogischen Hochschule Potsdam, dem Vorläufer der heutigen Potsdamer Universität. Derzeit schreibt Drabek seine Erinnerungen „Von Böhmen nach Brandenburg. Wege zwischen Weltkrieg und Wende“, deren erster und zweiter Teil vorliegt. Der dritte Teil zu Brandenburg beginnt mit der Studienzeit. Auszüge daraus erscheinen in den PNN.

Unsere Studientage waren mit vielerlei Veranstaltungen angefüllt, sodass die den Tagesablauf flankierenden drei Mahlzeiten einen besonderen Stellenwert einnahmen. Morgens stärkten wir uns mit einem aus dem Nachbarheim geholten Frühstück, bestehend aus Brot, Butter, Marmelade, einer Käsescheibe oder einem hartgekochten Ei und dem als Muckefuck bekannten Malzkaffee. Das Abendbrot sah ähnlich aus, nur dass die Butter durch Margarine, die Marmelade durch Wurst und die Käsescheibe – oft durch Harzer oder Schmalz – ersetzt wurden. An Stelle des Malzkaffees trat Kräutertee, dem angeblich Soda beigemengt war, deren vermeintliche Wirkung die interne Bezeichnung „Hängulin“ umschreibt.

Auf dem Abendbrotteller lagen mitunter ein Stück Tomate oder Gurke als Rohkostminimalität, über die in einer Ausgabe der „Hochschulnachrichten“ von 1958 zu lesen war: „Ist es nicht fast eine Veralberung, wenn die Vollverpfleger zum Abendessen als Gemüsebeigabe eine Scheibe Gurke, nicht dicker als ein Zentimeter, bekommen? Ich schäme mich beinahe, das hier zu schreiben!“ Damit begann ein viel beachteter Meinungsstreit zwischen dem auf unserem Flur wohnenden Karl-Ernst Plagemann und der Wirtschaftsleitung über die Qualität des Mensa-Essens, die vordem besser gewesen sein soll, denn in jenem Artikel ist von Vorsuppe, Gemüse als Rohkost und Nachtisch die Rede.

Kein Nachschlag mehr

Darauf wurde in der Antwort zwar nicht eingegangen, dafür findet sich in dem von Wirtschaftsleiterin Elfriede Flechtner verfassten Beitrag ein interessanter Zusammenhang zwischen Quantität und Qualität der Mittagsverpflegung: „Das Mensaessen kann qualitativ verbessert werden, wenn nicht mehr die Quantitäten gekocht werden müssen, d. h. der an unserer Hochschule übliche Nachschlag, den es an keiner anderen Hochschule oder Universität gibt, entfällt.“ Und der war für uns wichtig: z.B. Eintopf mit Brot oder Kartoffeln mit Soße, allerdings ohne Fleisch. „Fleischiges“ gab es nachschlagmäßig nur als Grützwurst, von uns „Nilschlamm“ und heute „Tote Oma“ genannt.

„Nilschlamm“ wurde stets mit Kartoffeln gereicht, deren Vorrat aber Anfang 1960 zur Neige ging. Nun bestand die „Sättigungsbeilage“ aus Reis oder Teigwaren in verschiedenen Varianten. Das änderte sich erst, als hinter der Hochschule ein Anhänger voller Erdäpfel abgestellt wurde. Reaktionsschnell verteilte der Koch an greifbare Studenten Kisten und Körbe, mit denen sie die Knollen wegtrugen. So wurde der Hänger leer und das Lager voll, ohne dass die LPG etwas vom Verbleib ihrer Kartoffeln erfahren haben soll. Nun gab es sie wieder reichlich, auch zu „Nilschlamm“ und Sauerkraut.

„Einleuchtend muß sein, daß Wünsche Südfrüchte zu reichen, ausgeschlossen sind“

Die Zubereitung des Krauts wurde allerdings heftig kritisiert: „Heute muß man zufrieden sein, wenn es hin und wieder so gekochtes Sauerkraut gibt, daß es bestimmt keine Vitamine mehr enthält.“ Das Fehlen dieser Substanzen war ein zentraler Punkt in der Plagemannschen Polemik: „Es ist doch ein unmöglicher Zustand, daß der Hochschularzt im Jahr 20 000 DM ausgeben muß, um den Studenten künstlich die Vitamine zu verabreichen, die eigentlich ein gutes Essen bringen sollte.“ Und eine besorgte Mutter wurde in einem Brief an den Prorektor noch deutlicher: „Obst (Bananen, Apfelsinen, Zitronen usw.) sollten auch für die Studenten in Potsdam gefordert werden“. Die angesichts der Versorgungslage fast provokante Forderung wurde natürlich zurückgewiesen: „Einleuchtend muß sein, daß Wünsche Südfrüchte zu reichen, ausgeschlossen sind.“

Ob die Polemiken und Vorschläge zur Mensaverpflegung, wie die Einführung eines Wahlessens, etwas brachten, weiß ich nicht mehr. Wir verzehrten jedenfalls weiterhin mit eigenem Besteck, was angeboten wurde und bemühten uns um private Zusatzversorgung, z. B. durch Zukauf von Eiern oder Jagdwurstscheiben, die in Ermangelung eines Kühlschranks aufgebraten wurden. Ein kleiner Tante-Emma-Laden in der Gontardstraße bot eingeweckte Pflaumen mit Stein und die benachbarte Kleingartenkolonie über den Zaun zu greifendes Obst. Und aus heimatlichen Elternhäusern gab es Mitbringsel oder Päckchen, von deren Inhalt untereinander etwas abgegeben wurde. Wenn also „Sarans“ Sendung eine Oberlausitzer „Bäbe“, einen Rührkuchen in Kastenform, enthielt, bekam jeder aus unserer Fünfer-WG eine Scheibe ab, ebenso wie von meinem böhmischen „Gugelhupf“.

Fortsetzung folgt

Josef Drabek

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