Homepage: Nord-Süd-Konflikt in Sanssouci
In der Sprecherziehung erhielten die Sachsen an der Potsdamer PH seinerzeit meist die schlechteren Noten. Von Josef Drabek
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Josef Drabek, 1939 in Böhmen geboren, studierte von 1958 bis 1962 an der Pädagogischen Hochschule Potsdam, dem Vorläufer der heutigen Potsdamer Universität. Derzeit schreibt Drabek seine Erinnerungen „Von Böhmen nach Brandenburg. Wege zwischen Weltkrieg und Wende“, deren erster und zweiter Teil vorliegt. Der dritte Teil zu Brandenburg beginnt mit der Studienzeit. Auszüge daraus erscheinen in den PNN.
Während den Studienjahrgang betreffende Veranstaltungen Ende der 1950er-Jahre in Potsdam im Audimax der Pädagogischen Hochschule realisiert wurden, fanden studienfachbezogene Vorlesungen gemeinsam mit Kommilitonen verwandter Kombinationen im Institutsgebäude I und im rechten Eckflügel der Orangerie statt. Für alle anderen Lehrveranstaltungen bildete die Seminargruppe ähnlich einer Schulklasse den organisatorischen Rahmen. Zu unserer Gruppe Germanistik/Geschichte 1958/59 gehörten 29 Studenten, davon zwölf „Jungen“ und 17 „Mädchen“, die intern immer noch so hießen, aber eigentlich junge Männer und Frauen waren. Die Lehrkräfte sprachen uns mit Herr bzw. Fräulein an, nur verheiratete Kommilitonen wurden mit Frau angesprochen. Bei den Seminargruppentreffen ist heute noch nach wie vor von „Jungs und Mädels“ die Rede.
Fast alle Jungs wohnten im Studentenheim Forststraße, die restlichen bei den Eltern oder privat in der Stadt. Interessanterweise waren diese meist über die Arbeiter- und Bauernfakultät (ABF) zum Studium gekommen, galten leistungsmäßig als schwächer und bewusstseinsmäßig stärker. In diesem Zusammenhang ist eine Zeile im „Erinnerungslied“ eines Kommilitonen durchaus ironisch zu verstehen: „Und einige war’n besonders schlau von der A-und-B-Fakultät“. Die Mädels logierten überwiegend im Block E der 1951 hinter der PH errichteten Heime und traten mehrheitlich bewusstseinsstärker auf. Während das Verhältnis zwischen Jungs und Mädels problemlos war, spielte die Einschätzung und Beziehung von Bewussteren und weniger Bewussten bald eine Rolle, spätestens bei den Diskussionen um die Vergabe der Leistungsstipendien. Dabei verstand man unter Bewusstsein den Klassenstandpunkt, der gesellschaftliche Aktivität implizierte.
Zunächst blieb dieses Problem aber im Hintergrund, weil es durch die regionale Herkunft überlagert war. Fast alle Mädels und bewussteren Jungs kamen aus dem Norden, also aus Brandenburg und Mecklenburg, die anderen aus dem Süden der DDR, also aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Dieser „Nord-Süd-Konflikt“ trat zuerst bei der Sprecherziehung zu Tage, in der die „Südländer“ eine eigene Gruppe bildeten und bestenfalls die Note 2-3 erhielten. Während diese als Sachsen subsumiert wurden, galten die „Nordländer“ pauschal als Preußen. Dabei ging es nicht um „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“, sondern um „Szenen einer Nachbarschaft“, die auch in der Forststraße spielten und mitunter mit dem von einem Kommilitonen kreierten Spruch endeten: „Die Sachsen, die sind helle, die s*** auf die Schwelle, die Preußen, die sind dumm und latschen drinne rum“.
Für alle zuständig war unser Seminarbetreuer, eine Art Klassenleiterfunktion, die es seit 1955 gab. Kurzzeitig übte diese Aufgabe Oberassistent Merkel aus – ein blonder, bebrillter junger Mann mit rosigen Wangen, dessen Namen wir auf den des jungen Borstentiers reimten und der uns mit einer Übung zur Weltliteratur erfreute.
Bleibende Nachfolgerin wurde Herta Marnette, die zuvor mit ihrem Ehemann Hans aus China zurückgekommen war, wo beide an der Universität Peking Deutsche Sprache und Literatur gelehrt hatten. Um sie rankte sich später die Legende, sie hätten als Vorbilder für die ABF-Studenten Rose Paal und Gerd Trullesand in Hermann Kants Roman „Die Aula“ gedient. Aus dem „Reich der Mitte“ brachte unsere geradezu mütterlich wirkende Betreuerin und Deutsch-Methodik-Lektorin jenes bekannte fernöstliche Lachen mit, das auch bei negativen Einschätzungen erklang: „Herr H., Sie haben heute eine ganz schlechte Unterrichtsstunde gehalten, ha, ha, ha“. Diese Marotte verhalf ihr zum Spitznamen „Minnehaha“, nach der weiblichen Hauptperson in Longfellows Poem, das Dvorák zum Largo seiner Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ inspirierte.
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