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Landeshauptstadt: Nur die Kultur fördern, die eine Stadt braucht

Konzentration auf Theatergruppen statt auf Theaterneubau – FH-Dozent nähert sich wissenschaftlich dem Thema Kultur

Stand:

Am 25. Oktober werden im Kulturausschuss die kulturpolitischen Konzepte vorgestellt, die ab 2008 für vorerst fünf Jahre für Potsdams Kulturpolitik maßgebend sein sollen. Damit endet dann ein einjähriger Diskussionsprozess, der oftmals den Eindruck erweckte, dass sich in Potsdam in Sachen kultureller Förderung grundlegend etwas ändern könnte.

Herr Professor Voesgen, teilen Sie diese Einschätzung?

Wenn ich mir den Prozess des vergangenen halben Jahres anschaue, scheint es nicht zu grundlegenden Veränderungen zu kommen.

Warum?

Die Ergebnisse der Runden Tische sind im Kern Forderungen für zusätzliche Ausgaben und weniger die Erarbeitung von Prioritäten.

Während des Diskussionsprozesses wurde immer wieder betont, dass es erst einmal nur darum gehen soll, zu sammeln, welche Defizite, welche Vorstellungen und Erwartungen es bei den Kulturträgern gibt. Eine Zuspitzung, also eine Verständigung auf konkrete Forderungen, wäre demnach schon an den Runden Tischen notwendig gewesen?

Diesen von Frau Seemann (Fachbereichsleiterin für Kultur und Museum, Anm.d.Red.) eingeleiteten Prozess eines Diskurses mit den Akteuren finde ich sehr sinnvoll. Das kann aber nur gelingen, wenn die Beteiligten auch bereit sind, Prioritäten in ihren Bereichen zu setzen und es nicht dabei zu belassen, Defizite aufzuschreiben und Forderungen aufzulisten. Ein weiteres Problem sehe ich darin, dass die Runden Tische zu stark auf Genres bezogen waren.

Sie sprechen die einzelnen Bereiche wie Musik, Theater oder Bildende Kunst an. Was spricht gegen diese Einteilung?

Dadurch wird Kultur nicht als Zusammenhang wahrgenommen, vielmehr der Selbstbezug der einzelnen Sparten gefördert. Es zählen nur der eigene Bereich und die damit verbundene Förderung. Das sieht man sehr gut am Runden Tisch Musik, wo ein eigenständiges Budget für das Genre Musik gefordert wurde.

Sehen Sie eine derartige auf Genres beschränkte Förderpolitik als rückschrittlich an?

Es ist auf jeden Fall eine Zementierung der bestehenden Strukturen. So wird Kulturpolitik zwar häufig betrieben, Aufgaben und Prioritäten können auf diese Weise aber nicht transparent gemacht werden. Kulturentwicklung, also ein Konzept, aus dem deutlich wird, was für das kulturelle Wohl der Stadt besonders wichtig ist, wird somit blockiert. Dabei ist Gestaltung der Stadtkultur eigentlich eine Gemeinschaftsaufgabe der Bürger.

Sie meinen, die Potsdamer hätten an dieser Diskussion beteiligt werden sollen?

Grundsätzlich ja. Aber das ist natürlich schwierig, denn den Bürger gibt es ja nicht, die unterscheiden sich schließlich auch nach Interessengruppen. Aber es wäre sinnvoll, die Adressaten von Kulturveranstaltungen in diesen Prozess mit einzubeziehen.

In Form von Zuschauerbefragungen?

Das ist eine Möglichkeit, die unter anderen vom Hans Otto Theater und auch im Nikolaisaal praktiziert wird. Aber ich meine noch etwas anderes. In den Protokollen der Runden Tische liest man kaum etwas über die Zielgruppen der Veranstaltungen. Wer soll wie gewonnen werden und welche Gruppen werden bisher zu wenig erreicht? Es wird immer wieder herausgestellt, wie wichtig die jeweilige Arbeit ist, aber nicht gesagt, für wen und warum.

Abgesehen von einer Bürgerbeteiligung, was hätte im zurückliegenden Diskussionsprozess anders gemacht werden können?

Man hätte sich Themen aus den beschlossenen Kulturleitlinien vornehmen können, um daraus, in interdisziplinären Arbeitsgruppen, konkrete Vorhaben und Ziele zu entwickeln.

Also muss für eine veränderte Förderpolitik grundlegend umgedacht werden?

Ja, wobei ich natürlich weiß, dass in der Praxis eine tief greifende Änderung der Förderpolitik kurzfristig kaum möglich ist. Der Spielraum ist gering, weil der größte Teil des Etats mittelfristig festgelegt ist. Wenn man davon absieht, ist eine Änderung der Kulturpolitik in dem Sinne notwendig, dass nicht vorrangig Institutionen abgesichert werden, vielmehr nach den Funktionen von Kulturarbeit gefragt wird. Doch solche Fragen werden kaum gestellt.

Was wäre beispielsweise eine solche unbequeme Frage?

In unserem Gutachten „Qualitative Evaluation der Freien Kultur-Träger der Stadt Potsdam“ haben wir auch die Musik in der Erlöserkirche thematisiert. Denn es ist eine durchaus umstrittene Frage, inwieweit kirchennahe Musik in einer vorwiegend atheistischen Stadt wie Potsdam öffentlich gefördert werden soll. Es gibt hinter vorgehaltener Hand Kritik daran, dass die Musik in Kirchen aus öffentlichen Mitteln finanziert wird. Aber es wird nicht offen darüber diskutiert, ob das ein wichtiger Teil unseres kulturellen Erbes ist, egal ob wir religiös orientiert sind oder nicht. Die Folge sind situative, aber keine grundsätzlichen Entscheidungen. Eine ähnliche Problemvermeidung findet auch beim Thema Soziokultur statt.

In Ihrem Gutachten haben Sie auch geschrieben, dass das Genre Theater überproportional gefördert werde. Also weniger Theater als eine weitere Lösung?

Nein, nicht weniger Theater. Wir haben nur auf eine Schieflage hingewiesen: Auf der einen Seite das Stadttheater, das relativ gut abgesichert ist und einen beträchtlichen Teil der Kulturförderung erfordert, auf der anderen Seite die Freien Theater, die unter prekären Bedingungen arbeiten, man kann es wohl Selbstausbeutung nennen. Statt darüber zu klagen und die aktuellen Löcher nur zu flicken, sollte man grundsätzlich danach fragen, welche Art von Theater die Stadt braucht und fördern möchte. Uns wurde vorgeworfen, weil wir solche Frage in unserem Gutachten aufgeworfen haben, wir seien kulturfeindlich. Aber es kann nicht sein, dass wir die bestehenden Förderverhältnisse einfach festschreiben. Eine Aufgabe von Kunst ist, immer wieder alles in Frage zu stellen. Wenn die Kunst aber nicht einmal bereit ist, ihre Strukturen zur Diskussion zu stellen, widerspricht sie ihrem eigenen Anspruch.

Was wäre hier ein Ansatz gewesen?

Statt ein neues Theater zu bauen, hätte die Stadt sich auf die Förderung von Theatergruppen konzentrieren können. Diese Gruppen würden Verträge über vier bis sechs Jahre erhalten. Dadurch hätte man sehr viel mehr qualifizierte Theaterangebote und könnte sich gegenüber Berlin positionieren. Das ist keine ungewöhnliche Idee, so sind zum Beispiel in den Niederlanden der Betrieb eines Hauses und die Förderung von Theatergruppen getrennt. Auch in der deutschen Fachdiskussion wird über neue Betriebs- und Organisationsformen des Theaters diskutiert. Wenn Potsdam aber am Ensembletheater mit eigenem Haus festhält, muss die entsprechende Finanzierung, einschließlich Teuerungsraten, gesichert werden.

In der Diskussion um die kulturpolitischen Konzepte wurde nie darüber gesprochen, welche Forderung was kosten würde?

Der Diskussionsprozess war, soweit ich das einschätzen kann, eine Mischung aus Ideensammlung und dem Erstellen von Forderungskatalogen. Die Erörterung von Strategien scheint dabei zu kurz gekommen zu sein. Dazu gehört die Berücksichtigung der finanziellen Realitäten.

Was wäre denn realisierbar?

Man muss einfach berücksichtigen, dass der Kulturetat, wenn überhaupt, um 100 000 Euro erhöht werden wird. In den vergangenen Jahren haben wir vor allem darum gekämpft, dass der Etat nicht noch mehr gekürzt wird. Schaue ich mir aber die Forderungskataloge der Runden Tische an, müsste der Kulturetat erheblich aufgestockt werden. Doch allein ein Intendant für Bildende Kunst, wie eine der Forderungen lautet, kostet schon 80 000 bis 100 000 Euro. Dann ist das Geld weg.

Hätten diese Prioritäten von den Kulturschaffenden festgelegt werden müssen?

Das wäre natürlich gut gewesen, ist jedoch unrealistisch. Für die Kulturträger ist es schwierig, sich genreübergreifend zu verständigen, weil die eigenen Interessen im Vordergrund stehen. Man kann sich nur darauf verständigen, dass die Ausgaben für Kultur erhöht werden müssten. Sobald es aber darum geht, innerhalb der Forderungen Prioritäten zu setzen, ist eine Einigung kaum zu erzielen. Das zeigt sich auch an den Ergebnissen der Runden Tische. Die Vertreter hätten ja von sich aus sagen können, jetzt setzen wir uns mal zusammen und überlassen das nicht der Politik. Das ist nicht passiert.

Nun ist die Verwaltung gefragt.

In Potsdam wurde die Prioritätensetzung durch die Verwaltung bisher eher zurückhaltend betrieben. Entscheidungen wurden zwischen Kulturverwaltung, dem Kulturausschuss und den Kulturträgern hin und her geschoben. Die neue Fachbereichsleiterin ist angetreten, die Ziele der Kulturpolitik transparent zu machen und das „Durchwursteln“ zu beenden. Aber das hängt nicht nur von ihr ab.

Werden die kulturpolitischen Konzepte am Ende nur für große Ernüchterung sorgen, weil alles so weitergeht wie bisher?

Ich weiß natürlich nicht, was für einen Entwurf die Kulturverwaltung nun vorlegen wird. Das bisherige Konzept ist ja nur eine Zusammenfassung der Forderung der Runden Tische und die Leitlinien. Das ist jetzt ein ganz schwieriger Prozess und da beneide ich Frau Seemann nicht. Denn sie ist in der misslichen Lage, dass sie keine Unterstützung aus dem Kulturbereich hat. Dort wird immer nur gesagt: Wir wollen mehr und sind nicht bereit, Prioritäten zu setzen.

Hätte man sich diese ganze Diskussion sparen können?

Die Diskussion war nützlich, weil die verschiedenen Träger zusammen kamen. Wie ich gehört habe, treffen sich einige Runde Tische auch weiter. Solch eine Kontinuität ist natürlich gut. Vor allem, wenn damit auch öffentliche Foren geschaffen werden. Das ist kein rauschender Walzer, aber zumindest ein Slow Fox.

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