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Landeshauptstadt: „Nur noch 125 Arbeitstage“

Mitarbeiter der Kommunen fürchten das Chaos am 1.1.2005

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Mitarbeiter der Kommunen fürchten das Chaos am 1.1.2005 Von Karsten Sawalski Die große Verunsicherung war auf kleinen, bunten Zetteln an der Wand zu lesen: „Sinnlos“, „Unausgereift“, „Keine Ahnung“ oder die bange Frage „Ist mein Job noch sicher?“. So hatten sich die Beschäftigten im Bereich Soziales der Stadtverwaltung spontan zur bevorstehenden Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe schriftlich geäußert. „Die Frage lautete: Was fällt Ihnen zu Hartz IV ein? Die Mitarbeiter hatten zehn Minuten Zeit“, erklärt Ursula Löbel, Arbeitsgruppenleiterin im Bereich Soziales und Personalratsmitglied. Der farbige Papierteppich der Ratlosigkeit bildete den Hintergrund für eine Podiumsdiskussion unter dem Motto „Hartz IV – wo geht’s zukünftig lang?“ zu der die Bezirksverwaltung der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) am Donnerstagabend eingeladen hatte. Nachdem die Verhandlungen der Bundesregierung mit der Opposition über die Zuständigkeit für das neue Arbeitslosengeld II gescheitert sind, ist unklar, wie das so genannte Hartz IV-Gesetz zum 1. Januar 2005 umgesetzt werden soll und kann. „Das Schlimmste wäre, wenn nichts passiert“, machte die Sozialbeigeordnete Elona Müller den etwa 50 Anwesenden klar, die wohl in der Mehrzahl den kommunalen Verwaltungen angehörten. Wenn zum Jahresbeginn geschätzte 8000 Leistungsempfänger von einem Amt zum anderen verwiesen würden, „dann haben wir nichts gekonnt“, sagte Müller. Dass dieses worst-case-szenario nicht eintreten dürfe, davor warnte auch Rolf Seutemann von der Bundesagentur für Arbeit. Der Chef der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg forderte noch mehr: Nicht nur die Leistungen sollten pünktlich ausgezahlt werden, sondern auch die Dienstleistung, im Sinne von „Fördern und Fordern“, müsse zum 1. Januar 2005 angeboten werden. Aber: „Zurzeit haben wir in Potsdam noch kein qualifiziertes Fallmanagement“, gab Müller zu bedenken. Momentan scheinen viele grundlegende Strukturen für die Zusammenlegung der unterschiedlichen Fürsorgesysteme noch offen zu sein. Alexander Wegener vom ver.di-Bundesvorstand kritisierte, dass die Politik bisher nicht geklärt habe, „unter welcher Trägerschaft“ die Jobcenter geführt werden sollen: Zur Auswahl stehen das Optionsmodell, bei dem die Kommunen die Gesamtverantwortung übernehmen würden oder das Arbeitsgemeinschaftsmodell, bei dem eine gemeinnützige GmbH-Lösung angestrebt wird. Man habe jetzt „ein Stückchen“ dadurch erreicht, meinte Müller, dass Potsdam sich als Pilotarbeitsgemeinschaft gemeldet habe und das bisherige Finanzierungsmodell für die Kommune nochmals überprüft werde. Große Sorge bereitet den Mitarbeitern in den Ämtern auch die Datenerfassung und die damit verbundene Einführung einer neuen Software. Wenn sich die kürzlich vorgestellte Software als nicht praktikabel erweise, dann müsse ein Datentransfer von etwa 1600 Fällen per Hand eingegeben werden, sagte Müller. Während Thomas Zuleger von der SPD-Bundestagsfraktion den Umbau des Sozialsystems als „Chance“ anpreisen wollte, sahen die Beschäftigten doch eher die Problematik des Vorhabens. In den noch verbleibenden 125 Arbeitstagen laufe der Publikumsverkehr in den Ämtern weiter. „Die Zeit rennt uns davon“, sprach Personalrätin Löbel die Befürchtung der Beschäftigten aus.

Karsten Sawalski

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