Landeshauptstadt: Oberbürgermeister dementiert und schaltet Staatsanwälte ein Jakobs verteidigt Gewoba-Privatisierungen / Offen bleibt weiter, warum es bei dem Millionengeschäft kein Bieterverfahren gab – und wer dies entschied
Potsdam habe sein „Tafelsilber“ nicht unter Wert verscherbelt, alles sei geprüft worden und korrekt gelaufen – das war die Botschaft von Jann Jakobs (SPD). Der Oberbürgermeister nahm am Mittwoch wie angekündigt vor dem Stadtparlament Stellung zu Enthüllungen von „Stern Online“ zu Unregelmäßigkeiten bei der Privatisierung von Gewoba-Wohnungen im Jahr 2000.
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Potsdam habe sein „Tafelsilber“ nicht unter Wert verscherbelt, alles sei geprüft worden und korrekt gelaufen – das war die Botschaft von Jann Jakobs (SPD). Der Oberbürgermeister nahm am Mittwoch wie angekündigt vor dem Stadtparlament Stellung zu Enthüllungen von „Stern Online“ zu Unregelmäßigkeiten bei der Privatisierung von Gewoba-Wohnungen im Jahr 2000. Die Vorwürfe, städtische Immobilien seien unter Wert verkauft worden, wies Jakobs erneut zurück: „Da ist nichts, aber auch gar nichts Unrechtmäßiges gelaufen.“ Einiges sei im Nachgang anders zu beurteilen als damals, aber „hinterher ist man immer schlauer“.
Stadt und Pro Potsdam würden wegen Geheimnisverrats juristisch vorgehen, so Jakobs. Große Mengen interner Akten seien nach außen gegeben worden; damit sei gegen die Verschwiegenheitspflicht verstoßen worden, staatsanwaltschaftliche Ermittlungen daher zwingend. Jakobs übte auch Medienschelte: Er appelliere an das Verantwortungsgefühl von Journalisten, mit Unterstellungen und Verdrehungen Schluss zu machen. Der Stadt entstehe ein großer Schaden.
Den Rahmen für das dubiose Geschehen im Jahr 2000 bildete das Gewoba-Modell, mit dem die damals hoch verschuldete Landeshauptstadt Geld in ihre Kasse brachte. Das Prozedere: Die Stadt verkaufte für mindestens 120 Millionen D-Mark Immobilien an die städtische Gewoba, die wiederum privatisierte rund 1050 Wohnungen, um den Kauf zu finanzieren. Die Immobilien wurden im Jahr 2000 für insgesamt rund 26,3 Millionen Euro in zwei Paketen an Semmelhaack verkauft. Das Modell sei damals umstritten gewesen, sagte Jakobs. Die damals unter Einwohnerschwund leidende Stadt habe aber keine Wahl gehabt. Das Gewoba-Modell habe einen Verkauf der gesamten städtischen Gesellschaft verhindern sollen.
Auf den Schlussbericht des städtischen Rechnungsprüfungsamtes vom 19. Januar 2001, welches Stadt und Gewoba zahlreiche Verstöße bei den Verkäufen vorwirft (PNN berichteten), ging Jakobs in einzelnen Punkten ein. Er bekräftigte erneut, dass die Ermittlung der Immobilienwerte korrekt gewesen sei – die Kommunalaufsicht des Innenministeriums habe gebilligt, dass statt genauer Werte nur Pauschalen ermittelt worden seien.
Der Oberbürgermeister rechtfertigte auch, dass die Gewoba beim Weiterverkauf von rund 1050 Wohnungen dem Investor Theodor Semmelhaack einen zehnprozentigen „Paketabschlag“ gewährt habe. Die Rechnungsprüfer hatten diesen als unzulässig laut Gemeindeordnung bezeichnet, weil es sich um einen „Mengenrabatt“ handele. Jakobs sieht den Abschlag – er wurde laut Rechnungsprüfungsbericht beim zweiten Immobilienpaket sogar doppelt gewährt – als rechtens und gängig; auch, weil sich in den Paketen neben attraktiven Immobilien auch „Schrott“ befunden habe. Gegenstand der Prüfung der Kommunalaufsicht waren die Verkäufe der Gewoba offenbar nicht – mangels Zuständigkeit.
Es bleiben weitere Ungereimtheiten: Jakobs sagte, „EU-Richtlinien für Immobilienverkäufe gibt es nicht“. Dabei hat die EU-Kommission bereits 1997 in einer Mitteilung im Amtsblatt vorgegeben, wie die öffentliche Hand Grundstücke veräußern soll, damit Begünstigungen ausgeschlossen sind. Auf diese Vorgaben soll das Innenministerium die Stadt Potsdam hingewiesen haben. Danach sei ein „bedingungsfreies Bietverfahren“ das beste Verfahren – dazu müsse das Angebot zwei Monate und mehr mehrfach in der nationalen Presse bekannt gemacht werden. Anderenfalls müsse ein unabhängiger Sachverständiger für Wertermittlung eingesetzt werden. Die städtische Gewoba wählte damals jedoch andere Verfahren: Das erste Grundstückspaket bot sie sechs selbst ausgewählten Unternehmen an, das zweite schrieb sie mit einer Anzeige in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ aus. Die Frage, wer entschieden hat, diese Verfahren zu wählen, beantwortete Jakobs gestern auf Anfrage nicht und verwies auf die Pro Potsdam. Zu dem städtischen Konzern gehört die Gewoba mittlerweile, doch Jakobs war bereits im Jahr 2000 und ist bis heute Aufsichtsratschef des Unternehmens. Gesellschaftervertreter war zum Zeitpunkt der Verkäufe der heutige Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD). Die Pro Potsdam beantwortete die Frage im Übrigen auch nicht: Dies könne „der Gesellschafter weit besser“, hieß es.
Unklar blieb am Mittwoch auch, ob Jakobs im Jahr 2000 einen Rechtsanwalt gegen das kritische Rechnungsprüfungsamt eingeschaltet hat. „Ich habe mich gewundert, das in den Protokollen gefunden zu haben“, so Jakobs: „Ich weiß nicht, ob wir jemanden beauftragt haben.“ Wenn dies geschehen sei, dann „allenfalls, um die unterschiedliche Bewertung des Verfahrens“ juristisch klären zu lassen.
Die Potsdamer Grünen-Landtagsabgeordnete Marie Luise von Halem sagte gestern, die Verantwortlichkeiten in dem Fall müssten geklärt werden. Die Stadtverordneten forderten von Jakobs die schnelle Aufklärung der Vorwürfe. Sie sollen in einem Monat im Hauptausschuss thematisiert werden. Jakobs sagte den Stadtverordneten ausnahmsweise Akteneinsicht bei der Pro Potsdam zu.
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