Homepage: Obligatorisches Handy-Bierchen Semesterstart im Lindenpark
Von Matthias Hassenpflug Jedermann ahnt, dass sich das einzige, aus dem sich in Brandenburg in der Zukunft Kapital schlagen lassen wird, ziemlich genau zwischen den Ohren begabter Studenten befindet. Diese Ressource ist nachwachsend und nahezu unerschöpflich, und immer wieder neu werden die Semesteranfangsparties des Lindenparks mit neuen Köpfen gefüllt, weil sicher ist, dass lebenslanges Lernen auch die Stil-, Rhythmus- und Herzensbildung umfassen muss.
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Von Matthias Hassenpflug Jedermann ahnt, dass sich das einzige, aus dem sich in Brandenburg in der Zukunft Kapital schlagen lassen wird, ziemlich genau zwischen den Ohren begabter Studenten befindet. Diese Ressource ist nachwachsend und nahezu unerschöpflich, und immer wieder neu werden die Semesteranfangsparties des Lindenparks mit neuen Köpfen gefüllt, weil sicher ist, dass lebenslanges Lernen auch die Stil-, Rhythmus- und Herzensbildung umfassen muss. Und wo studiert man diese Fächer zwangloser als unter der professionellen Obhut des soziokulturellen Zentrums an der Stahnsdorfer Straße? Es war ein Konvent lernbereiter Führungskräfte, spätere Juristen und angehende Wirtschafts-, Sozial- und Politikwissenschaftler, garantiert keiner älter als 25, zu dem ihre Fachschaften geladen hatten. So genannte „High Potentials“ gaben sich ein letztes Mal vor dem Stress des Unilebens jung, frech, fröhlich, hautnah und kommunikationsoffen. Keine Bange, Brandenburg, wenn Deine Zukunft so Party macht. Vorbei die Zeiten billigen Rotweins magyarischer Provenienz in literschweren, kopfschmerzträchtigen Gebinden, die es fehlgeleiteten Eiferern so leicht machten, einen in hinterhältig angezettelten Diskussionen über Klimakatastrophen, Zen-Buddhismus und die CIA vom Marxismus zu überzeugen. Heute wählt man Spritziges und Helles und führt es in schlanken Fläschchen mit sich. Solch ein Handy-Bierchen ist obligatorischer Begleiter, auch auf der Tanzfläche, und damit sicher die gleichsam individuellste wie exklusivste Art, sich persönlich etwas Gutes zu gönnen. Die Schlücke aus der Becks-Flasche sind wie ein SMS-Dauerflirt mit sich selbst. Auch die Losergruppe zurechtgemachter Jungs, die sehnsuchtsvoll die Tanzenden beäugt, trägt Flasche. Die Jeans hier ein wenig zu eng, dort spannt das T-Shirt, die olivgrüne Strickware komplett indiskutabel, egal, man wippt die Hüften ein zu einem Musikmix aus Ohrwürmern der vergangenen drei Jahrzehnte. Es soll eine Zeit gegeben haben, da hätte ein DJ nicht so unbeschadet Grönemeyer spielen können. Heute wird gerne Deutsch gehört, noch lieber gleich mitgesungen. Wir sind Helden, Tocotronic und Fettes Brot geben Orientierung, neben dem Bacardi-Song. Dann geht ein Jauchzen durch die Menge, und wenn man den Refrain sogar halbwegs kennt („Baila, baila, baila, baila, baila hey“, Gipsy Kings), ist es doppelt gut, denn das zeigt Kennerschaft. Schließlich wird der Arm in die Höhe gestreckt, wenn man sich ganz wohl fühlt. So war das wohl schon immer, wenn Führungskräfte eins sind mit sich und der Welt. Und als Robbie Williams sich anbietet, den Unterhalter zu machen („Let me entertain you“), formen hunderte williger Münder, so wie das Mädchen mit den Schweinszöpfchen, das zaghaft nebenstehend tänzelt, als verspräche man sich Erlösung: „Come on, come on, come on“. Da war die Stimmung famos. Modisch trägt der Junge gerne sportiv und eng, z.B. Fußballtrikots von Brasilien. Besser sind aber dunkelbraune Hemden mit feinen Vertikalstreifen, auch wenn man da bügeln muss. So ein Hemd tanzt gerade eine Blondine mit Diagonalstreifen an. Diagonalgestreift und zugleich mindestens einseitig schulterfrei ist wohl Pflicht in diesem Sommer bei „ihr“, natürlich alles ein bisschen retro. Das Paar wird sich später näher kommen und mit der Tanzfläche eins werden, die auch irgendwann die Loserjungs generös verschluckt. Eine Dauerprojektion wirft die nächsten Termine des Lindenparks an die Wand. Ende des Monats werden die Untoten das Haus besuchen. Die nächste Semesteranfangsparty findet übrigens gleich heute Abend statt, diesmal im Waldschloss, 100 Meter die Straße runter.
Matthias Hassenpflug
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