Landeshauptstadt: Oertel ohne Bilder
Tag der Archive im Zeichen der Fußball-WM
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Babelsberg / Bornim - Heinz-Florian Oertel bejubelt Sparwassers Siegtor, dazu läuft die Fernsehaufzeichnung des Weltmeisterschaftsspiels BRD - DDR im Jahr 1974. Im Nebenraum tönt aus einem alten Rundfunkempfänger die Stimme Wolfgang Hempels, der zurückhaltend, aber nicht ohne Sympathie den westdeutschen Sieg im WM-Endspiel 1954 kommentiert. Das Deutsche Rundfunkarchiv auf dem Babelsberger RBB-Gelände hatte gestern diese beiden Reportagen in den Mittelpunkt seiner Teilnahme am diesjährigen „Tag der Archive“ gestellt, für den anlässlich der bevorstehenden Weltmeisterschaft das Motto „Der Ball ist rund“ gewählt worden war.
Andreas Obermanns, der die Nutzerbetreuung verantwortet, führte das Publikum durch den modernen Bau, den das Rundfunkarchiv im Jahr 2000 bezogen hat. Hier werden unter anderem 250 000 Videokassetten, knapp 500 000 Tonträger, 2,6 Millionen Fotos und Negative, aber auch 4500 laufende Meter Schriftgut sachgerecht aufbewahrt. Sie spiegeln die Rundfunk- und später auch die Fernsehgeschichte Ostdeutschlands von 1945 bis 1990 nahezu komplett wieder, die Bestände aus der Vorkriegszeit und Westdeutschland lagern in Wiesbaden.
Ein paar „Schmankerln“ zeigte Obermanns natürlich auch, so im Geräuscharchiv die Bänder, die vom Anfahren über das Motorstottern bis zum Türenschlagen alle Lautäußerungen eines Trabis speichern oder im Realienregal die Aktentasche, mit der Karl-Eduard von Schnitzler zum „Schwarzen Kanal“ erschien. Besonders fasziniert die Besucher, dass nicht nur Wissenschaftler, Journalisten oder gewerbliche Nutzer auf das Archiv zurückgreifen können, sondern auch Privatpersonen. Wer also seinem Opa beispielsweise die von Herbert Küttner 1984 angesagte 500. Oberliga-Konferenzschaltung auf den Geburtstagstisch legen will, kann sich an das Archiv wenden. Je nach Art und Länge der Aufzeichnung kostet der Privat-Abzug aus dem Archiv etwa 80 Euro. Bei der Frage nach dem WM-Spiel 1974 musste Obermanns allerdings eine Einschränkung machen: Oertels Kommentar ist frei, doch für die bewegten Bilder hat die Infront Sports & Media AG die Rechte gekauft. Das ist jene Schweizer Agentur, deren bekanntester Teilhaber Günter Netzer heißt.
Mit der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 beschäftigte sich auch das Brandenburgische Landeshauptarchiv, das in sein neues Domizil auf dem Bornimer Windmühlenberg eingeladen hatte. Dort waren die Akten der SED-Bezirksleitung über die 60 „Touristen“ ausgelegt, die damals aus dem Bezirk Potsdam zu den Spielen der DDR-Elf in den Westen fahren durften. Bis auf wenige Ausnahmen waren es treue SED-Genossen, die in Sechsergruppen jeweils von einem höheren Funktionär geführt wurden. Jeder sollte einen nicht näher beschriebenen „Parteiauftrag“ übernehmen und durfte im Quartier Schulungen zu „aktuellen Problemen der Klassenauseinandersetzung in der BRD“ über sich ergehen lassen. Erhart Hohenstein
Erhart Hohenstein
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