Kolumne: Etwas HELLA: Ohne Verfallsdatum
Seit ich Post bekomme von Firmen oder Einzelpersonen, denen ich niemals, auch nicht aus Versehen, meine Adresse gegeben habe – dazu verunsichert durch die Berichte über die Ausspähen-Aktivitäten der NSA – denke ich: Wir sind alle gläserne Menschen. Jedenfalls ist mein Briefkasten regelmäßig gefüllt mit Werbung und Katalogen, die nur an mich „Liebe Frau D.
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Seit ich Post bekomme von Firmen oder Einzelpersonen, denen ich niemals, auch nicht aus Versehen, meine Adresse gegeben habe – dazu verunsichert durch die Berichte über die Ausspähen-Aktivitäten der NSA – denke ich: Wir sind alle gläserne Menschen. Jedenfalls ist mein Briefkasten regelmäßig gefüllt mit Werbung und Katalogen, die nur an mich „Liebe Frau D. als besonders treue Kundin“ adressiert sind. Ich will mich nicht beschweren, ich habe es nicht besser verdient, denn ich bestelle hin und wieder etwas per Versand. Aus purer Faulheit und obwohl ich weiß, dass ich nun bis in alle Ewigkeit auf der Liste vieler, auch nie kontaktierter Versenderfirmen stehe. Als gläsernes Werbeopfer sozusagen, von dem man weiß, was es kauft und dass es pünktlich bezahlt.
Aber schon Genosse Mielke wusste zu DDR-Zeiten trotz intensiver Bespitzelung nicht alles und auch heute bekommt nicht jeder die Aufmerksamkeit, die er verdient. Frauen über 60 Jahre sind meistens ziemlich uninteressant, es sei denn, sie sind prominent, schwerreich oder im hohen Alter zur Terroristin mutiert. Eine kriminelle Karriere wie die der 85-jährigen amerikanischen Juwelendiebin ist natürlich langfristig angelegt, auch klauen will geübt sein. Bei uns Normalos hat die Vita dagegen eher blinde Flecken, selbst wenn man twittert, was das Zeug hält.
Einen Beweis lieferte mir gerade meine Krankenkasse, für die ich offenbar ein Buch mit sieben Siegeln bin. Nichts wurde bisher auf meiner Gesundheits-Chipkarte eingetragen, weder Medikamentenunverträglichkeiten, noch die Blutgruppe. Obwohl das doch sicher bei einem Unfall wichtig wäre. Stattdessen kam die Anfrage, ob ich mich nicht als Organspender registrieren lassen wolle. Will ich nicht, ich bin es nämlich schon. Meine Organe brauche ich vorläufig noch selber. Natürlich kann auch eine Krankenkasse nicht alles wissen und der behandelnde Arzt, dem ich von Zeit zu Zeit ins aktuelle Bild setzen muss, erst recht nicht. Besonders wenn er so überlastet ist, dass ich monatelang auf einen Termin warten muss. Auf den Augenarzttermin zum Beispiel vier Monate, auf einen Plausch mit meiner Frauenärztin sogar über ein halbes Jahr. Zum Glück bin ich nicht ängstlich und lasse mich ins Boxhorn jagen. Zum Beispiel von der Nachricht, das Fleisch- und Wurstessen das Krebsrisiko erhöht. Denn bei meinem Appetit auf ein zartes Steak, auf Koteletts und diverse Wurstsorten müsste ich bis zur nächsten Darmspiegelung eigentlich schon tot sein.
Um aber noch einmal auf die Organspende im Todesfalle zurückzukommen: Als ich die Spenderkarte zugeschickt bekam, habe ich bei meiner Krankenkasse angerufen und gefragt, bis zu welchem Alter man denn überhaupt für eine Organspende in Frage käme. Die Antwort war verblüffend und beruhigend zugleich: „Da gibt es kein Limit. Irgendetwas“, sagte die freundliche Frauenstimme am Telefon, „kann man immer gebrauchen.“
Unsere Autorin ist langjährige Redakteurin und jetzt freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Potsdam
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