Sport: Olivenbauern Die Finte der
In Apulien wird kein großes Geld verdient, aber zufrieden gelebt. Das Klima ist angenehm, köstlich wird aufgetischt
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Täglich knetet Giovanni 600 Kugeln Mozzarella. Wie im Schlaf vollführt der 22-Jährige jeden Handgriff: Er greift die Masse aus der Molke, taucht sie in heißes Wasser, zieht sie in Form und knetet sie zu Kugeln. „Jeden Tag habe ich Ärger mit ihm“, seufzt seine Mutter Tonia, die vorn im Laden die Kunden bedient. „Immer will er raus und weg. Dabei steht sein älterer Bruder Antonio schon um fünf Uhr in den Ställen.“ Dagegen habe Giovanni es doch nun wirklich leicht: Morgens um sieben kommt die Milch, bis elf Uhr ist sein Tagewerk erledigt.
Giovanni lächelt mild dazu und verknotet mit leichter Hand die Käsekugeln, Signora Tonia kehrt an die Theke zurück und schneidet eine Burrata zum Probieren auf. Im Inneren dieses Frischkäses verbirgt sich eine unwiderstehliche Creme aus Sahne und Mozzarella. Früher verkauften Tonia und ihr Mann die Milch ihrer Kühe an Fabriken. Doch die Preise sanken, bis das Geschäft nicht mehr rentabel war. Also beschlossen sie, die weiße Flüssigkeit selbst zu Mozzarella und Burrata zu verarbeiten. Seit acht Jahren betreiben sie bei Fasano eine der wenigen traditionellen Käsereien, die es heute noch gibt.
Im Hof knirscht Kies. Giovanni braust mit dem Auto davon.
Dabei ist die Landschaft im Südosten Italiens so außerordentlich schön, dass man sie so langsam genießen muss wie die kulinarischen Genüsse, die sie hervorbringt: wuchtige Rot- und spritzige Weißweine, kalorienschweren Käse, aromatisches Olivenöl, das man löffelweise zu sich nehmen wollte. Bis zu tausend Jahre alt sind die Olivenbäume mit den gewaltigen, knotigen Stämmen, die die Hügel bewachen. Aus ihren Früchten wird die Hälfte allen italienischen Olivenöls gewonnen. Auf den Feldern zwischen den Olivenhainen wachsen aber auch Weizen, Sellerie, Spinat, Fenchel und Kohl – dank ausgeklügelter Bewässerungssysteme blüht die Landwirtschaft in der regenarmen Region.
Noch in den sechziger Jahren verließen die Einwohner der desolaten wirtschaftlichen Lage wegen in Scharen ihre Heimat. Obwohl die Arbeitslosigkeit jenseits der Industriegebiete von Bari und Brindisi noch immer hoch ist, kehren heute auch Menschen zurück. Alessandro zum Beispiel, der in seinen Zwanzigern im italienischen Café eines Vergnügungsparks in Florida mit Trinkgeldern ein kleines Vermögen machte. Nach zwei Jahren kam er zurück und steckte das Geld in seinen Bauernhof und eine kleine Reiseagentur. „Ich bin so zufrieden hier“, erklärt er und beschreibt die universelle Anziehungskraft seiner Heimat mit bescheidener Zurückhaltung: „Das Klima ist angenehm, die Menschen sind es auch, und das Essen ist gut.“
Millionen von Olivenbäumen tauchen die urwüchsige Landschaft in silbriges Grün. Doch die Region besitzt neben den Olivenbäumen, die wie Denkmäler geschützt werden und von der langen Kultivierung Apuliens zeugen, auch Sehenswürdigkeiten aus Stein. Die Altstadt Alberobellos und ihre „Trulli“ – kleine, runde Häuser, die ihre Dächer wie Zipfelmützen aus lose aufgeschichteten Steinplatten tragen – zählt die Unesco zum Weltkulturerbe. Die Trulli wurden hier und in der Umgebung in großer Stückzahl erbaut, als im 13. Jahrhundert die Gründung neuer Siedlungen mit einer Steuer belegt war. Die Häuschen mit den Kegeldächern galten jedoch nicht als reguläre Gebäude. Somit ließ sich die Steuer umgehen.
Die rund 11000 Einwohner pflegen dieses Erbe mit Liebe und Engagement. So beschlossen sie, sämtliche Antennen und Satellitenschüsseln von den Dächern ihrer Trulli zu verbannen. Nur das Rathaus besitzt noch eine Antenne, ansonsten stört nichts die Silhouette der Stadt.
Bis heute ist Apulien ärmer als die Regionen weiter nördlich. Doch an Traditionen, die in Italien unauflöslich mit Mahlzeiten verbunden sind, und an den Produkten, von denen Italiener aus Norden und Süden gleichermaßen schwören, dass von ihrer Qualität alles Gelingen in der Küche und somit auch eine gute Portion Lebensglück abhänge, ist die Region mindestens so reich wie der ferne Norden.
In Savelletri, dem kleinen Hafen Fasanos, wird in der „Pescheria Due Mari“ frischer Fisch roh serviert. Sarago, Zahnbrasse, Corvina, Thunfisch und Riesengarnelen trägt Vito Sabatelli auf, der das Geschäft in vierter Generation betreibt. Mittlerweile gehören auch ein paar Tische für Gäste dazu. Vito empfiehlt, den Fisch erst naturale zu probieren, dann mit ein wenig Olivenöl, Zitrone, Salz und Pfeffer. Einer schmeckt besser als der nächste. Ende März öffnet Vito seine Pescheria, im Mai stellt er die Tische nach draußen, Ende Oktober holt er sie wieder ins Haus. Im Winter öffnet er nur freitags und sonnabends, zu Weihnachten „und bei schönem Wetter“, so sagt er. Das ist auch im Winter recht häufig. Noch im Dezember scheint die Sonne stundenlang.
Auch sonst ist der Lauf der Jahreszeiten hier seit ungezählten Generationen von beruhigender Gleichförmigkeit. Im Herbst beginnt die Olivenernte. Auch sie erfordert Ruhe und Zeit. Im Oktober reinigen die Bauern den Boden rund um die Bäume von Gras und Blättern, um die Oliven aufzunehmen. Zunächst sind sie grün, dann lila, schließlich werden sie schwarz. Grüne Oliven bekommt man ins Glas, indem man die Früchte unreif erntet.
Die Bauern legen Netze unter den Bäumen aus, um keine Olive zu verlieren. Geerntet wird vor allem von Hand. Siebzig Euro verdienen die Olivenpflücker am Tag. Sie stehen auf Leitern und holen die Früchte mithilfe von Plastikkämmen von den Ästen und sammeln sie dann in einem Gefäß. Auch vorsichtiges Schütteln der Äste ist erlaubt. An der Küste lässt man die Früchte am Boden liegen, wo sie brechen, fermentieren und Regen und Witterung ausgesetzt sind. Dadurch entwickeln sie mehr Säure, was sich auf die Qualität des Öls auswirkt: Das ist dann häufig nicht mehr „extra vergine“, sondern nur noch „vergine“. Deshalb wird auch hier die Ernte zunehmend auf schnellstem Weg zur Mühle gebracht, wo sie verarbeitet wird. Vom Baum essen kann man die Früchte nicht: 40 Tage müssen Oliven in Salzlake liegen, bis sie genießbar sind.
Die Masseria Maccarone besitzt rund 25 000 Olivenbäume, von denen etwa 8000 mehrere hundert Jahre alt sind. Das heutige Herrenhaus in Fasano wurde 1754 erbaut, die Kapelle vier Jahre später, 1780 kam die von Eseln betriebene Olivenmühle hinzu. Noch immer wird hier Öl hergestellt. Heute werden Schale, Wasser und Öl – das nur fünfzehn Prozent der Frucht ausmacht – maschinell voneinander getrennt. Die Flaschen, in die das vielfach preisgekrönte Olivenöl abgefüllt wird, etikettiert man indessen noch immer an einem einzigen Arbeitsplatz von Hand.
Masserien wurden einstmals als Gutshöfe mit zahlreichen Wirtschaftsgebäuden nebst Hauskapelle erbaut und zur Verteidigung vor vom Meer angreifenden Sarazenern, Piraten und anderen marodierenden Horden befestigt. Strahlend weiß verputzt, mit schweren Mauern, die genauso vor Sommerhitze wie vor Angriffen schützten, wirken sie ein wenig, als hätte man sie aus Nordafrika hierher verpflanzt. Heute werden sie vor allem touristisch genutzt. Auch die Masseria Torre Coccaro wurde im 16. Jahrhundert als Festung erbaut. Die Schafställe von früher sind nun Schlafzimmer von sorgfältig arrangierter Schlichtheit. Auch Prominente wie George Clooney, Daryl Hannah, Jude Law und Sienna Miller haben sich hier schon zur Ruhe gebettet.
Noch viel schöner ist indessen das Erwachen: Die Fenster öffnen den Blick auf Oliven-, Mandel- und Johannisbrotbäume. In der Ferne liegt das Meer.
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