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Landeshauptstadt: Operieren im Stockdunkeln

Zum Entfernen bösartiger Hirntumore setzt das Klinikum fluoreszenzgestützte Mikrochirurgie ein

Stand:

Mit einem regional einmaligen Operationsverfahren kann das Klinikum Ernst von Bergmann jetzt die Lebenszeit von Hirntumorpatienten um bis zu fünf Monate verlängern. Dabei mache man sich die Aktivität des schnell wachsenden Glioblastoma multiforme zu nutze, erläuterte Dr. Uwe Träger, leitender Oberarzt des Fachbereichs Neurochirurgie im Klinikum Ernst von Bergmann bei einem gestrigen Pressegespräch. Seit Einführung der sogenannten fluoreszenzgestützten Operationstechnik vor einem Dreivierteljahr sei bereits 19 Patienten das bösartige Krebsgeschwür aus dem Kopf entfernt worden. In Brandenburg einmalig, verfügten rund 25 Krankenhäuser bundesweit über diese chirurgische Methode.

Drei Stunden vor dem operativen Eingriff schlucke der Patient die chemische Substanz 5-Amino-Lävulinsäure, ein körpereigenes Stoffwechselprodukt bei der Herstellung roter Blutkörperchen. Die Geschwulst verarbeite das Mittel in Windeseile und setze dabei Energie frei, die unter einem UV-Mikroskop sichtbar werde. Während der Rest der Hirnmasse im Schwarz des abgedunkelten Operationssaals verschwinde, leuchte der Tumor in hellem Pink und gebe so auch seine genauen Konturen preis, erklärte der Oberarzt. Das nämlich sei das tückische am bösartigen Hirntumor: Er sei mit der Hirnmasse stark verwoben. Seine unscharfen Grenzen seien bei Weißlicht deshalb kaum auszumachen. Das erschwere die überlebenswichtige Komplettentfernung des Krebsgeschwürs.

Mit Hilfe der fluoreszensgestützten Mikrochirurgie, an deren Entwicklung Träger selbst beteiligt war, gelinge die vollständige Resektion der Gliomen zumindest in 65 Prozent, bei der herkömmlichen Weißlicht-OP in nur 35 Prozent der Fälle, so der Facharzt. Bleibe ein Resttumor zurück, liege die durchschnittliche Lebenserwartung nach der Operation bei 13 Monaten, werde die Geschwulst komplett entfernt, bei 18 Monaten. Eine Lebenszeitverlängerung, die den Aufwand lohne, erläuterte der Neurochirurg. Eine Rettung gebe es beim bösartigen Hirntumor aber nicht. Auch nach einer Resektion habe der Krebs einzelne Zellen in das umliegende Gewebe gestreut. „Das ist das eigentlich bösartige an dieser Tumorart“, sagte Prof. Dr. Hubertus Wenisch, ärztlicher Direktor im Klinikum.

Mit der Eröffnung des Fachbereichs Neurochirurgie vor zwei Jahren habe man am Ernst von Bergmann die Entfernung von Hirntumoren erst möglich gemacht, sagte er. Zuvor habe man in Potsdam zwar den Krebs diagnostizieren und den Patienten mit Strahlen- und Chemotherapie nachbehandeln können. „Die OP mussten wir aber außer Haus – meist an die Charité in Berlin – geben“, so der Klinik-Direktor. Unter den 500 chirurgischen Eingriffen seit Oktober 2005 seien 100 Hirntumorentfernungen gewesen. Für die präzise Arbeit im zentralen Nervensystem hatte das Klinikum auch ein Neuronavigationssystem für 350 000 Euro angeschafft. Das Gerät, das ähnlich wie ein GPS-System das Operationsbesteck genau orte, verhindere Flurschäden und das Verirren auf dem Weg durch das Gehirn zum Tumor, sagte Träger.

Nicola Klusemann

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