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Sport: Opfer für Olympia

Doppelsalto, Landung, Halswirbelbruch: Für den Cottbuser Turner Ronny Ziesmer endete sein Traum in Kienbaum.

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Doppelsalto, Landung, Halswirbelbruch: Für den Cottbuser Turner Ronny Ziesmer endete sein Traum in Kienbaum. „Mein Körper ist mein Kapital“, sagt Ronny Ziesmer. Er kommt gerade aus der Kantine. Zehn Minuten hat er für seine Mahlzeit gebraucht; bei einer Dauerdiät braucht sein Körper – 68 Kilo schwer, 1,72 Meter groß – nicht mehr. „An den Ringen merkst du jedes Gramm, das du zu viel drauf hast“, erklärt der Turner des SC Cottbus, der sich im Bundesleistungszentrum Kienbaum auf die Olympischen Spiele vorbereitet hat. „Olympia ist mein größter Traum, der nun in Erfüllung gehen wird.“ Das sagte er vor einer Woche. Am Montag wurde aus dem Traum ein Alptraum: ein Doppelsalto, eine unglückliche Landung, Halswirbelbruch. Noch am gleichen Tag wird Ziesmer operiert, gestern wachte er aus dem künstlichen Koma auf. Die Operation am verletzten fünften und sechsten Halswirbel ist gut verlaufen, doch Olympia ist plötzlich wieder in weite Ferne gerückt. Gesund werden zählt nun, um überhaupt wieder an den Geräten turnen zu können. Noch vor einer Woche sprach der aus der Kantine kommende und gestärkte 24-jährige Kunstturner vom unschätzbaren ideellen Wert und olympischen Geist, den er spüren möchte. Mitreißen lassen, Vollgas geben und eine super Leistung bringen, hatte er sich vorgenommen. Sein langjähriger Teamkollege vom SC Cottbus, Robert Juckel, saß da neben ihm und grinste bei der Euphorie, die das Stichwort Olympia bei Ziesmer auslöste. Nun wird Juckel, der zwei Jahre jünger ist, ohne seinen Teamkollegen nach Athen fliegen. Olympia. Dafür hat sich Ziesmer seit dem sechsten Lebensjahr geschunden, Juckel fing mit vier Jahren an. Als Lohn gab es für beide Medaillen von klein auf – Ronny Ziesmer wurde im vergangenen Jahr Deutscher Meister im Mehrkampf, in diesem Jahr siegte er an den Ringen und wurde Vize-Meister im Mehrkampf. Doch nichts hat beide so motiviert, wie die Aussicht auf Olympia. Jetzt standen sie kurz vor ihrem sportlichen Ziel. Die besten zehn deutschen Turner hatten sich um Bundestrainer Andreas Hirsch in Kienbaum versammelt, um sich seit Anfang Juli in die unmittelbare Wettkampfvorbereitung für Olympia zu begeben. Sechs Athleten dürfen am 8. August mit nach Athen fliegen – wer Ronny Ziesmer ersetzen wird, ist laut Hirsch noch nicht entschieden. Bis zum Sturz am Montag war das Trainingsprogramm in Kienbaum straff organisiert: 7 Uhr begann die erste von drei Trainingseinheiten mit einem kleinen Erwärmungslauf und Gymnastik. 8 Uhr gab es Frühstück, 9.30Uhr ging es in den Kraftraum und an die Geräte. 12.30Uhr folgte die Mittagspause und ab 15.30 Uhr wurden weitere drei Stunden Übungen einstudiert – und für die Analyse auf Video aufgezeichnet. Um den Feinschliff sollte es gehen. „Wenn sich jeder um ein Zehntel verbessert, bringt das die Mannschaft nach vorn“, sagte Ziesmer – seit Montag ist sie geschockt. Als Mannschaft wollte Ziesmer mit seinen Sportkollegen Deutschland ins Finale, also unter die ersten acht, bringen. Sechs Übungen gilt es dafür zu absolvieren: Seitpferd, Ringe, Sprung, Barren, Reck und schließlich Boden. Bis vor eineinhalb Jahren haben beide in Cottbus gelebt und sich an den Geräten von Erfolg zu Erfolg Richtung Olympia trainiert. Seit 2002 sind die Turner, die der Sportfördergruppe der Bundeswehr angehören, im Bundesleistungszentrum Stuttgart. „Beim Bund trainieren wir 30 Stunden pro Woche. Dann geht nichts mehr. Zwischen den Trainingseinheiten muss der Körper wieder genesen“, sagt Juckel. Für eine Sache wie Olympia könne man solche Opfer aber schon bringen. Da müsse alles andere eben hinten an stehen, waren sich beide einig. Und wie lange soll das so weitergehen? „Solange wie die Knochen das mitmachen“, sagte Ziesmer. Manche seien mit 18 kaputt manche schafften es bis 30. „Erst kommt Athen. Und dann wäre es schön, den nächsten Zyklus mitzunehmen“, ergänzte Juckel. 2007 findet die Turner-WM in Stuttgart statt. Ein Heimspiel für beide. Peking 2008 war ihr Fernziel, danach sollte Schluss sein. „Ich lebe nur für den Sport“, sagte Ziesmer vor einer Woche in Kienbaum und Juckel nickte nachdenklich. Freunde, Freundin, Hobbys – alle müssen zurückstecken. „Ich bastle gern an Automodellen oder am Computer, aber habe selten Zeit dafür.“ Freizeit ist Luxus – Kino, Disko und Ausgehen die Ausnahme. Selbst Ziesmers Motorrad blieb in der Garage stehen: „Das wäre jetzt viel zu gefährlich. Ich muss doch gesund bleiben.“

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