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Von Erhart Hohenstein: Opferberatung vor Ort

Im früheren Stasi-Knast sollen Räume umgebaut werden – auch ein Provisorium ist denkbar

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Die Stasi-Unterlagenbehörde wird, wie von Birthlerbehörde zugesagt, nach der Schließung ihrer Potsdamer Außenstelle in der Landeshauptstadt eine Beratungsstelle einrichten. Dazu will sie in der Gedenkstätte Lindenstraße 54/55 Räume anmieten, erfuhren die PNN im Potsdam-Museum. Im Obergeschoss werden für diesen Zweck zwei zuvor von der Stadtdenkmalpflege genutzte Zimmer hergerichtet. Dazu fand gestern ein Vor-Ort-Termin statt.

Demnach will die Birthler-Behörde in den nächsten Tagen entscheiden, ob sie die Räume kurzfristig ausbaut und nutzt, da im sogenannten „Lindenhotel“ aus Anlass des 20. Jahrestages des Mauerfalls und des 200. Jahrestags der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung größere Umgestaltungsarbeiten erfolgen. Auf jeden Fall werde die Beratungsstelle aber in Kürze wirksam, erklärte Heiko Böttcher, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit in der Behörde. Gegebenenfalls werde sie zunächst in einem Provisorium eröffnet; dazu sei man auf der Suche nach geeigneten Räumen.

Mehrmals monatlich sollen die Räume Besuchern offenstehen, die dort nicht nur beraten werden, sondern auch Anträge auf Einsichtnahme in ihre Stasi-Akte abgeben können. Ihre Zahl ist in letzter Zeit wieder vgestiegen. So waren bis zur Schließung monatlich 150 solcher Anträge in der Potsdamer Außenstelle eingegangen. Eingesehen werden können die Akten allerdings in der Beratungsstelle nicht. Die Potsdamer und die Westbrandenburger müssen dazu in die Zentrale der Birthler-Behörde nach Berlin oder zur Außenstelle Frankfurt (Oder) fahren. Gleiches gilt für Historiker, die auf diesem Gebiet forschen und für Pädagogen, die ihren Schülern regionalbezogenes Wissen über diese Seite der SED-Diktatur vermitteln möchten.

Auf einen Termin der Einsichtnahme warten Betroffene, die ihren Antrag noch in der Großbeerenstraße abgegeben haben, teilweise bereits seit einem Jahr und länger. Dies hänge nicht mit der Schließung der Außenstelle Potsdam zusammen, erklärte Böttcher. Generell betrage die Wartezeit durchschnittlich anderthalb Jahre. Ausnahmen würden nur bei besonderer Bedeutung neu aufgefundener Unterlagen oder hohem Alter des Antragsstellers gemacht.

Warten muss beispielsweise ein 71-jähriger Potsdamer, der im Juni 2008 Antrag auf erneute Einsicht in seine Stasi-Akten gestellt hatte. Er war darüber unterrichtet worden, dass über ihn neue, brisante Unterlagen aufgetaucht sind. Der Hinweis kam aus dritter Hand, da die Stasi-Behörde in solchen Fällen die Betroffenen nicht informiert. Auf Nachfragen nach einem Termin erhielt der Rentner, der in der DDR-Zeit wegen der „Gefahr staatsfeindlicher Handlungen“ von 17 IM bespitzelt worden war, keinerlei Antwort.

Andererseits versichert die Stasi-Unterlagenbehörde, in Potsdam solle das Informationsangebot, einschließlich der Vortragstätigkeit und der Gestaltung von Ausstellungen, mit Hilfe der Beratungsstelle „in gleicher Qualität wie bisher“ erhalten bleiben. Die Zusammenarbeit mit der Schüler-Geschichtswerkstatt in der Gedenkstätte Lindenstraße werde fortgesetzt und ausgebaut.

Inzwischen hat Gisela Rüdiger, die in den Ruhestand getretene Leiterin der Ende 2008 geschlossenen Potsdamer BStU-Außenstelle, mit anderen Bürgerrechtlern und mit Politikern die Initiative zur Einsetzung eines Landesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit ergriffen. Im Gegensatz zu den anderen ostdeutschen Bundesländern gibt es einen solchen Beauftragten in Brandenburg bisher nicht. Er berät die Behörde bei ihren Entscheidungen und setzt sich für die Aufarbeitung dieses wichtigen Teils der Zeitgeschichte ein. Dazu gehört auch die bisher schwach ausgeprägte Kenntnisvermittlung über die DDR-Geschichte an den Schulen.

In Potsdam hatte die Sicherung der Stasi-Akten am 5. Dezember 1989 mit der Besetzung der Bezirkszentrale des Geheimdienstes in der Hegelallee begonnen. Tags darauf wurde sie vom neu gegründeten Bürgerkomitee Rat der Volkskontrolle fortgesetzt. Im Oktober 1990 kam es zur Gründung der Stasi-Unterlagenbehörde und ihrer Potsdamer Außenstelle, deren Leitung der Bürgerrechtlerin Gisela Rüdiger übertragen wurde.

Erhart Hohenstein

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