Landeshauptstadt: Ort für Opfer aus drei Vergangenheiten
Öffentliche Anhörung zur Gedenkstätte Lindenstraße 54 / Bürgertag am heutigen Samstag geplant
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Innenstadt – Das ehemalige Gefängnis in der Lindenstraße 54 als „Gedenkstätte für die Opfer politischer Gewalt im 20. Jahrhundert“ ist inhaltlich nach wie vor umstritten. Das zeigte eine öffentliche Anhörung vor Ort, zu der Oberbürgermeister und Kulturausschuss am Donnerstag eingeladen hatten. Dabei ging es um die Konzeption, welche der Oberbürgermeister Ende Dezember 2011 als Mitteilungsvorlage verbreiten ließ.
Das Hauptproblem bei dem Thema besteht darin, einen Konsens über das Gedenken an die Opfer dreier Vergangenheiten, dem Nazi-, Besatzungs- und DDR-Regime, zu erreichen. Das „selektive Verdrängen einer der drei Vergangenheiten kann keine Basis ehrlichen Gedenkens an die anderen sein“, äußert die Vereinigung für die Opfer des Stalinismus in einer schriftlichen Stellungnahme. Die Gedenkstätte werde von den Opferverbänden nicht angenommen, heißt es aus der Gruppe um Lutz Boede (Die Andere). Und: „Man setzt gleich und lässt die NS-Diktatur unter den Tisch fallen.“ Boede brachte den 90-jährigen Ludwig Baumann von der Bundesvereinigung der Opfer der NS-Diktatur ins Spiel. Dieser hatte sich schriftlich beim Oberbürgermeister beschwert, dass seine Vereinigung an der Konzeption nicht beteiligt wurde. Baumann, von der Nazi-Justiz als Deserteur zum Tode verurteilt, kämpft um die Rehabilitierung der insgesamt 30 000 verurteilten Wehrmachtsdeserteure. 20 000 dieser Urteile wurden vollstreckt.
Stadtverordneter Hans-Wilhelm Dünn (CDU) bezeichnete Konzept-Kritik der Anderen als Minderheitsmeinung und unterstellte der Boede-Gruppe, dass diese ihre „politische Neurose befriedigen“ wolle. Dass die Sache komplizierter ist, musste Claus-Peter Ladner von der Fördergemeinschaft Lindenstraße 54 im März dieses Jahres bei einem Gedenken im ehemaligen Gefängnishof für die Opfer der Rassenhygiene-Gesetze erfahren. Hannes Püschel von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes hatte Kritik an diesem Gedenken geübt, weil es an einem Ort stattfinde, an dem auch „NS-Funktionsträger“ nach 1945 inhaftiert waren. „Wir haben diese Haltung akzeptiert“, sagte Ladner bei der Anhörung. Und die Vorsitzende des Kulturausschusses Karin Schröter (Die Linke) äußerte: „Den Opfern können wir nicht vorschreiben, wie sie gedenken wollen.“
Dagegen bestritt Ulrike Poppe, die seit Ende 2009 amtierende Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur, dass es eine Gleichsetzung unterschiedlicher Systeme gebe. In der wissenschaftlichen Arbeit werde „genau differenziert“. Zwei einschlägige Forscher, Konrad Jarausch und Rainer Eckert, wollten das in ihren Vorträgen unter Beweis stellen. Jarausch hält die von vielen Historikern vertretene Totalitarismustheorie, für „nicht besonders weiterführend“. Eine vergleichende Forschung über die politischen Systeme müsse sich auf das Problem „Verletzung der Menschenrechte“ fokussieren. Historiker-Kollege Eckert überträgt das auf die Gedenkstätte: „Es geht um ein antidiktatorisches Gedenken.“
Die Lindenstraße 54 befinde sich laut Karin Schröter derzeit finanziell und personell in einer „komfortablen Situation“. Aber es sei nach der Anhörung klar geworden, dass es künftig „noch mehr Kommunikation“ geben müsse.
Die Periode als Untersuchungsgefängnis der DDR-Staatssicherheit ist mit 38 Jahren die längste in der Geschichte der Lindenstraße 54. Die Stasi-Thematik dominiert bis heute. Der vorgesehene Ausstellungsteil über die Zeit des Nationalsozialismus lässt noch auf sich warten. DDR-Bürgerrechtlerin Carola Stabe, Gründerin der Umweltgruppe „Argus“ , beschwört den Geist der Anfangszeit als „Haus der Demokratie“ und wünscht, dass „dieses Haus ein offener Ort wird für Leute, die selbst was machen wollen.“
Claus-Peter Ladner hob namens der Fördergemeinschaft hervor, dass die Gedenkstätte im vergangenen Jahrzehnt ein „lebendiger Ort“ geworden sei. 20 000 Besucher pro Jahr hätten den Weg hierher gefunden. Aber: „Es ist eine Gedenkstätte, die wir laufend verbessern können.“ Günter Schenke
Am heutigen Samstag findet in der Gedenkstätte Lindenstraße unter dem Motto „Wie es war“ ab 13 Uhr ein Bürgertag. Geplant sind Gespräche und Podiumsdiskussionen anlässlich des 20-jährigen Rechts auf Einsicht in die Akten der Staatssicherheit. Das Programm findet sich im Internet unter www.bstu.de.
Günter Schenke
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