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Von Guido Berg: Ozon bedeutet Leben

Eine Nacht am Roboter-Teleskop des Astrophysikalischen Instituts auf dem Babelsberg zeigt: Auch heute ist die Astronomie nichts für Frühzubettgeher

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Mondaufgang über Sri Lanka. Nacht in Afrika. Auf der spanischen Ferieninsel Teneriffa ist es früher Abend, über Potsdam bricht die Dunkelheit herein. Der Astronom arbeitet an einem Rechner und hat mehrere große Flachbildschirme im Blick. Auf einem ist die Weltkarte zu sehen, über die ein großer schwarzer Schatten wandert, die Nacht. Astronomen haben es auf sie abgesehen. Auch Dr. Thomas Granzer will es eher schwarz als dunkel. Durch einen dünnen Spalt der Kuppel über ihm dringt immer noch spärliches Licht, Reste des zurückliegenden Tages. Arbeitsplatz von Granzer ist das alte Meridianhaus auf dem Babelsberg, mit dem vor der Erfindung der Atomuhr die genaue Zeit anhand des Sternenstandes gemessen wurde. Heute dient es dem Astrophysikalischen Instituts Potsdam (AIP) als Leitwarte für die robotischen Teleskope „Stella“ auf Teneriffa und „Robotel“ auf dem Potsdamer Babelsberg.

„Minus sieben“ liest der Forscher von seinem Bildschirm ab, die Sonne ist erst sieben Grad unter dem Horizont, und selbst der fröhliche Wiener Dialekt des Österreichers kann nicht verhehlen, dass das noch lange nicht das ist, was er braucht. Die nautische Dämmerung liegt bei minus zwölf Grad, die astronomische bei minus 18. Um den 20. Juni, wenn es wochenlang Tag ist in der Arktis, wird es in Potsdam nicht dunkler als minus 16 Grad. Granzer öffnet per Mausklick die Robotel-Kuppel. Um 20.36 Uhr, liest er, hätte das Instrument es selbst getan, um automatisch damit zu beginnen, sein Forschungsprogramm abzuarbeiten. Robotische Teleskope sind an einen Rechner angeschlossen, der das Fernrohr steuert. Der Astronom, anders als noch zu Keplers oder Galileis Zeiten, kann sich, wenn er will, zeitig schlafen legen.

Doch Granzer arbeitet gern spät; zudem gibt es am Robotel noch viel zu tun. Astronomie, das ist ein steter Kampf mit hochsensibler Hightech. Der 40-Jährige nutzt die restliche Helligkeit, um das Robotel zu kalibrieren. Der Dämmerungshimmel ist geeignet, um den 16-Megabit-Chip der Robotel-Kamera abzustimmen. Nicht jeder Pixel hat die gleiche Sensibilität. Mit Hilfe seines Rechners aber sorgt der Forscher für ein gleichmäßig belichtetes Bild. Dann macht er Probeaufnahmen mit dem 80-Zentimeter-Teleskop, mit dem ab November auch Brandenburger Schüler forschen sollen. „Der Kampf um die besten Köpfe beginnt früh“, sagt der Doktor der theoretischen Physik.

Die Flecken auf den ersten Robotel-Fotos stellen keine Galaxien oder Spiralnebel dar, sie stammen vielmehr von Staubkörnern auf dem Eintrittsfenster zur Robotel-Digitalkamera. Der Operator versucht, die falschen Signale mit Hilfe der Kalibrationsaufnahmen aus der Dämmerung herauszurechnen. 24 verschiedene Filter kann Granzer zudem per Mausklick – bewegt von einem kleinen Elektromotor – vor die Linse schieben lassen.

Ein anderer Schirm zeigt das Bild einer Webcam, die von der Stella-Kuppel auf das spanische Hugo-Sanchez-Teleskop gerichtet ist. Der Dom, die Kuppel über dem Fernrohr, öffnet sich, obwohl die Sonne über Teneriffa, wie eine andere Webcam zeigt, gerademal den Horizont erreicht hat. „Sie lassen die warme Luft des Tages aus der Kuppel“, sagt Granzer, „das ist normal“. Nicht normal ist, dass sie die Kuppelöffnung in die untergehende Sonne halten und nicht in den Schatten. Granzer zuckt mit den Schultern.

Das erste Ziel ist der kleine Prinz, lateinisch Regulus, der hellste Stern im Sternbild Löwe, 77,5 Lichtjahre von der Sonne entfernt. Seine Koordinaten entnimmt Dr. Granzer der Internetseite Simbad, die für jeden zugänglich ist. Er kopiert die Daten in ein Fenster seines Rechners und gibt einen Java-Befehl. Enter!

Digitalgesteuert schwenken Elektromotoren das Robotel in die Regulus-Richtung. Eine halbe Sekunde dauert die Belichtungszeit, 15 Sekunden vergehen aber, bis die enormen Datenmengen des Chips ausgelesen sind. Nur alle 15 Sekunden ein Bild! Für das Eintauchen des Kometen Shoemaker-Levy 9 in den Gasplaneten Jupiter im Juli 1994 wäre das Instrument das Falsche gewesen. Doch ein in die Tiefen des Alls schauendes Teleskop ist keine Videokamera. Granzer lacht.

Dann ist das Bild da, ein heller Fleck vor schwarzem Hintergrund. Der Punkt ist leicht verschmiert, ein Zeichen, dass die Fokussierung des Geräts noch nicht optimal ist. Auch sind noch kleine Nebensterne zu erkennen, die es aber gar nicht gibt, denn es sind „elektronische Geister“, Störsignale, die noch weggerechnet werden müssen. Regulus, der kleine Prinz, wird nicht genügen, wenn er die Schüler ab November begeistern will. Granzer muss größere Geschütze auffahren, ob er nicht mal die Magellanschen Wolken zeigen könne, zwei Zwerggalaxien. Geht nicht, grinst der Wissenschaftler, die sind nur von der Südhalbkugel zu sehen. Ferdinand Magellan hatte sie auf seiner Weltumseglung 1519 beschrieben. Dann den Andromeda-Nebel, bitte. Der ist gut im Herbst zu sehen, so der Wissenschaftler, momentan sei die Nachbargalaxie der Milchstraße noch knapp unterm Horizont.

Dr. Granzer kopiert jetzt aus Simbad Astronomical Database die Koordinaten von M3. Über 100 große Objekte wurden vom französischen Astronomen Charles Messier katalogisiert. Der Messier-Katalog ist heute noch gebräuchlich. Hinter M3 steckt nichts Geringeres als ein Kugelsternhaufen mit weit über 100 000 Sternen. Messier entdeckte ihn am 3. Mai 1764. Mit einem guten Feldstecher, guten Augen und guter Einbildungskraft sei das 33 000 Lichtjahre entfernte Objekt am Nachthimmel zu sehen. Robotel belichtet die Stelle im All, an der sich M3 befindet, fünf Minuten lang. Das Ergebnis ist ernüchternd. Nur schemenhaft ist der Sternenhaufen auf der Aufnahme zu erkennen. Das ist Granzers Sorge: Was ist, wenn die Schüler enttäuscht sein werden von den Robotel-Aufnahmen – weil die Fotos, die sie im Internet vom Hubble-Teleskop gesehen haben, viel besser sind? Das Weltraumteleskop hat nie Wolken vor der Linse. Es gibt keine atmosphärischen Störungen, keinen Regen. Wenn in Potsdam nur ein Tropfen auf den Sensor der kleinen Wetterstation neben dem Robotel-Dom fällt, macht der Computer die Kuppel automatisch für mindestens vier Stunden zu. Wasser und Elektronik, das passt nicht zusammen. Mehrmals geht Granzer vor die Tür und schaut, so wie die Astronomen seit Jahrtausenden, mit blankem Auge nach oben. Kleine Wolkenschwaden sind zu erkennen, dazwischen aber noch schön das klare schwarze All mit seinen Sternen. Nein, sagt der junge Mann, der in seiner Freizeit gern Abenteuer-Reisen unternimmt. Reich werde er nicht als Astronom, aber jeder Tag bisher sei spannend gewesen. Aber es kommt noch besser: Sein Institut plant bis 2015 dort ein Teleskop zu bauen, wo die Atmosphäre am Trockensten ist, wo es von der Erde aus den besten Blick ins All gibt. Der beste astronomische Platz auf der Welt! Dieser liegt nicht eben um die Ecke, sondern 6000 Kilometer südlich von Tasmanien in der Antarktis. Dort gibt es eine dreimonatige polare Nacht; ein Eldorado für Astronomen mit Außentemperaturen von bis zu minus 80 Grad Celsius. Aber Humor haben sie: ICE-T soll das 60-Zentimeter-Doppelteleskop heißen.

Granzer zieht die Stirn in Falten: Vielleicht hatte eines von diesen kleinen Schäfchenwolken ihm gerade die M3-Aufnahme vermiest. Astronomen hassen Wolken; Wolken trennen sie von ihrem Glück, von den Weiten des Alls. Darum haben sie ja ihr Stella-Teleskop auf Teneriffa, weil es dort nur selten Wolken gibt. Granzer will nicht aufgeben, ein guter Schuss muss doch noch gelingen! Er wählt M51 aus, ein gigantisches Spektakel im All, die Whirlpool-Galaxie, ganz weit draußen. „Ach“, winkt der Forscher ab, „unter 50 Millionen Lichtjahre, das ist noch nächste Nachbarschaft“.

Und da kommt das Bild. Zunächst sind nur zwei Punkte zu sehen, die beiden Galaxienkerne. Nachdem sich das Auge an die Aufnahme gewöhnt hat, fallen auch die Spiralarme auf. Einer langt in Kreisbahnen hinüber, von der einen Galaxie zu anderen. Ein Sternenband zieht von der kleineren Galaxie zur größeren; als wickele die große die kleine Galaxie auf. Sehr schön.

Es ist viel los in seinem Fach. Stichwort Exoplaneten, Planeten, die nicht um die Sonne, sondern um einen anderen Stern kreisen. Erst kürzlich startete das US-Teleskop Kepler ins All. Granzer ist sich sicher, dass es eine zweite Erde finden wird, einen festen Planeten, der mit etwas Glück auch noch im bewohnbaren Abstand um seinen Stern kreist. Würde Ozon auf diesem Planeten nachgewiesen, es wäre eine Revolution. Ozon entsteht nach heutiger Lehrmeinung nur beim Stoffwechsel von Lebewesen.

Gegen Mitternacht steigt Thomas Granzer auf sein Fahrrad, um den Babelsberg nach Potsdam herunterzufahren, wo er seit dem Jahr 2000 wohnt. Dass er bei all dem Phantastischen seiner Arbeit ein Bodenständiger geblieben ist, beweist er, der die halbe Nacht lang Fragen beantworten musste, mit einer einzigen Gegenfrage:

„Was gibt es Neues vom Griebnitzsee?“

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