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Politik, die krank macht: Die 8000 Brandenburger Pädagogen, die am gestrigen Mittwoch in Potsdam demonstrierten, fordern nicht in erster Linie mehr Geld, sondern weniger Arbeit. Doch auch das kostet das Land mehrere Millionen Euro.

© Nestor Bachmann/dpa

Landeshauptstadt: Pädagogen verstärken Druck auf Münch

Die Forderungen der Brandenburger Lehrer sind nicht neu, doch der Ton wird schärfer: Auf der Protestveranstaltung vor dem Bildungsministerium geht es vor allem um eine geringere Arbeitsbelastung der Pädagogen und eine verlässliche Politik

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Die roten Plastikrasseln, die die Gewerkschaftler vor dem Bildungsministerium verteilen, zeigen sofort ihre Wirkung. Als die Ministerin Martina Münch (SPD) am Mittwochnachmittag vor das Mikrofon tritt und zu den mehreren tausend Lehrerinnen und Lehrern aus ganz Brandenburg spricht, ist kaum eines ihrer Worte zu verstehen. Wirkliche Angebote kann Münch ohnehin nicht machen. Und ihre Aussage: „Es geht um gute Bedingungen für unsere Kinder“, scheinen die Teilnehmer der Kundgebung ihr auch nicht mehr abzunehmen.

Bereits im Herbst vergangenen Jahres hatte die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) zu Personalversammlungen im Land Brandenburg aufgerufen, einer Art Warnstreik für Lehrer. Anlässlich der heute in Potsdam stattfindenden Tarifverhandlungen zwischen den Ländern als Arbeitgeber und den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes kam es nun erneut zum lautstarken Protest gegen die Brandenburger Bildungspolitik. Laut GEW haben sich in Potsdam mehr als 8000 der 17 800 landesweit verbeamteten oder angestellten Pädagogen versammelt. Sie zogen vom Bildungsministerium durch die Innenstadt, um auf dem Luisenplatz gemeinsam mit anderen Beschäftigten des Landes zu demonstrieren. An den Forderungen der Lehrer hat sich seit Herbst nichts geändert: weniger Arbeitsbelastung durch eine geringere Pflichtstundenzahl, eine bessere personelle Ausstattung der Schulen und eine Altersteilzeitregelung.

„Es geht uns nicht darum, mehr Geld für uns zu erstreiten, sondern eher für die Kinder“, sagt Doritha Rohde, Gymnasiallehrerin in Pritzwalk. „Wir wollen kleinere Klassen – soll individuelle Förderung bei 30 Kindern möglich sein?“, fragt sie. „Es reicht“, sagt Carola Gnadt, Schulleiterin des Potsdamer Humboldt-Gymnasiums. Das Arbeitspensum sei nicht mehr zu bewältigen.

„Wir fahren im Bildungsbereich seit Jahren auf Verschleiß“, ruft Günther Fuchs ins Mikrofon. Als der Chef der Brandenburger Lehrergewerkschaft GEW spricht, ist es plötzlich ruhig. Neueinstellungen brauche das Land, fordert er. Vor allem aber prangert er den hohen Aufwand für Verwaltungsaufgaben und statistische Erhebungen an, der in den letzten Jahren die Lehrer zusätzlich belaste. „Wir sind Pädagogen und nicht Jäger und Sammler unwichtiger Daten“, so Fuchs und erntet lauten Beifall.

Erst Anfang der Woche hatte das Bildungsministerium bekannt gegeben, dass die sogenannten Vergleichsarbeiten in der Jahrgangsstufe sechs ersatzlos gestrichen würden und die flächendeckende Einführung der Inklusion verschoben wird. Als wirkliche Erleichterung für ihre Arbeit bewerten die protestierenden Lehrer das allerdings nicht. Von einem „Hin und Her“ spricht Gymnasiallehrerin Rohde. „Wir haben keine Linie in der Bildungspolitik“, sagt sie. Ständig würden neue Sachen eingeführt, aber ohne sogenannte Abminderungsstunden für diese Aufgaben. Nun sollten etwa zusätzliche Englischprüfungen in der zwölften Klasse eingeführt werden. „Die Vorbereitung trägt der Lehrer, heißt es vom Ministerium. Das geschieht alles auf unserem Rücken“, sagt Rohde.

Bis zum Ende der Kundgebung harrt Martina Münch aus. Dann sagt sie: „Ich nehme mit, dass die Lehrer sehr belastet sind und es ihnen nicht vorrangig um mehr Geld geht.“ Lösungsvorschläge hat sie allerdings nicht . Das Ergebnis der Tarifverhandlungen müsste allerdings abgewartet werden.  „Wir können nur gemeinsam mit dem Finanzminister eine Regelung finden.“ Nach den Verhandlungen mit den Tarifpartnern sei sie zu Sondierungsgesprächen mit den Gewerkschaften bereit. Oberste Priorität hätten für sie Regelungen zu den Abminderungsstunden und zur Altersteilzeit.

Für den Chef der Brandenburger Lehrergewerkschaft reicht dieses Versprechen allerdings nicht aus: „Wir sondieren schon seit zwei Jahren“, sagt Fuchs. Gespräche würden erst geführt, wenn Stellenzusagen gemacht würden, „von denen die Lehrer etwas merken“. Rund 50 bis 60 Millionen Euro pro Jahr verlangt die GEW für 800 bis 1000 neue Lehrer.

Dass spürbare Verbesserungen noch bis zur Landtagswahl 2014 umgesetzt werden, ist für Fuchs selbstverständlich. „Die Probleme sind seit Jahren bekannt, nun ist es eine Minute vor zwölf“, so der Gewerkschaftler. Sollte sich zeitnah nichts bewegen, so sollen die Pädagogen den Druck erhöhen. „Es wird keine Ruhe geben“, so Fuchs. Noch im Herbst hatte er angekündigt, im März die „Schulen massiv zuzumachen“. Nun will die GEW den Lehrerkonferenzen nahe legen, nur noch die Aufgaben zu erledigen, für die die Schulen auch personell ausgestattet sind. Unzureichend finanzierte Ganztagsangebote etwa sollten aufgegeben werden. Das könnte laut Fuchs bereits in diesem Monat geschehen. „Die Regierung ist gut beraten, schnell zu handeln. Lehrer sind nicht mehr gewillt zu warten.“

Grit Weirauch

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