zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Palast für einen Glasschleifer

Das Brocksche Haus am Stadkanal wartet immer noch auf seine Sanierung – einen Käufer gibt es nicht, aber Nutzungskonzepte

Stand:

Das Brocksche Haus am Stadkanal wartet immer noch auf seine Sanierung – einen Käufer gibt es nicht, aber Nutzungskonzepte Von Erhart Hohenstein Das Brocksche Haus Yorckstraße 29 am Stadtkanal, ein einst prachtvolles Stadtpalais, zählt zu den wenigen Bauten des berühmten Architekten Carl von Gontard, die noch unsaniert und dem Verfall preisgeben sind. Eigentümer Telekom versucht seit Jahren vergeblich, das Gebäude zu verkaufen. Die von ihr beauftragte Verwaltungsgesellschaft Sireo sieht ihre Pflichten erfüllt. Das Dach des Palais sei dicht, Einsturzgefahr bestehe nicht, teilte sie auf PNN-Anfrage mit. Durch einen Zaun und verschlossene Türen komme sie auch ihrer Verkehrssicherheitspflicht nach. Innenaufnahmen zeigen allerdings trostlose Bilder mit abblätternden Tapeten und Schimmel in einigen Räumen. Die Fotos stammen von Studenten der Fachhochschule Potsdam, die auf Anregung von Stadkonservator Andreas Kalesse Nutzungsvorschläge für das Palais entwickelt haben. Ihre Arbeiten wurden kürzlich durch Mentorin Prof. Dr. Martina Abri in der Ausstellung „Die Bayreuther in Potsdam“ erläutert. Den Vorgaben der Telekom folgend ist eine Wohn- oder eine Hotelnutzung vorgesehen. Die 280 – 480 Quadratmeter großen Nobelwohnungen sollen sich in der Struktur eines „englischen Reihenhauses“ vertikal über alle drei Etagen erstrecken, da das Palais nur ein Tiefe von acht Metern besitzt, und im Hofgelände einen Garten erhalten. Für ein Hotel wären ergänzende Bauten erforderlich. Dies könnte durch Wiederaufbau der verloren gegangen Gebäude geschehen, die links und rechts an das Palais anschlossen. Die Studentenarbeiten sehen dafür moderne, aber angepasste Formen vor. Glanzpunkt des Hotels wäre der Festsaal, der im Obergeschoss hinter dem Mittelrisalit liegt. Laut Prof. Abri haben sich im Palais sowohl die architektonische Struktur als auch wichtige Originalbauteile erhalten, u.a. Barocktüren und Treppenhäuser. Das Brocksche Haus war 1770 von Gontard entworfen und 1776 errichtet worden. Als Vorbild diente das Hotel de Ville im französischen Nancy. Gontard wählte eine bescheidenere, aber architektonisch stimmige Variante. Wieso solch ein Prachtbau von einem Handwerker wie den Glasschleifer Brockes bewohnt wurde, erklärte Martina Arbri mit dem Hinweis, dass König Friedrich II. für die 30 von ihm zur Aufschmückung der Stadt errichteten Stadtpaläste nicht genügend Interessenten aus dem Adel fand. Johann Christoph Brockes (1737 - 1804), dessen Namen in der Stadtgeschichtsschreibung bisher nur im Zusammenhang mit der Gebäudebenennung auftauchte, muss ein sehr vermögender Mann gewesen sein, um sich ein Palais mit 50 Räumen leisten zu können. Seinen Spuren ist Dr. Käthe Klappenbach nachgegangen. Die Kustodin für historische Beleuchtungskörper in der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten hat aus den spärlichen schriftlichen Quellen ermittelt, dass Brockes schon als 22-Jähriger den Meisterbrief erwarb, 1760 Antrag auf ein Privileg für den Handel mit Glas stellte und Jahrzehnte lang für den königlichen Hof tätig war. Er lieferte Behang, aber auch komplette Lüster, schliff Rohlinge aus der königlichen Glashütte in Zechlin und setzte in Paris gekaufte Kronleuchter mit Behang aus Bergkristall zusammen, eine durchaus komplizierte Arbeit. Die von Käthe Klappenbach aufgefundenen Rechnungen nennen horrende Summen. 1767/68 werden ihm aus der königlichen Schatulle 3360 Reichstaler überwiesen, 1774 für die Ausstattung der Neuen Kammern 2000. Für die beiden Kronleuchter des Schlosstheaters berechnet er 1768 1000 Taler. Zum Vergleich: eine Magd bei Hofe erhielt damals 60 Taler und selbst Friedrichs Leibkoch bekam lediglich 500 Taler jährlich. Der Glashändler und -schleifer wird so reich, dass er sich 1773 zusätzlich Erbzinsgut und Glasmanufaktur in Annenwalde (Uckermark) erwerben kann. Kaum ist König Friedrich II. 1786 gestorben, beschweren sich Brockes Kollegen nur 11 Tage später über dessen Privilegierung und seinen hohen Verdienst. Sein Bruder, der Amtschirurg Rudolph Brockes, bemüht sich beim nunmehrigen König Friedrich Wilhelm II. um ein neues Privileg für den Glasschleifer. Das scheint er auch bekommen zu haben, denn noch aus dem Jahr 1791 hat sich eine Rechnung erhalten. Wenn die Quellen und die Form von Lüsterbehängen auch keinen Zweifel daran lassen, dass Johann Christoph Brockes von Sanssouci über das gewesene Orangenhaus“ (die Neuen Kammern) und das Neue Palais bis Schloss Berlin-Charlottenburg an der Beleuchtung fast aller friderizianischen Schlösser mitgewirkt hat – ein Nachweis dafür ist kaum zu erbringen. Da er kein Künstler, sondern ein Handwerker war, sind seine Arbeiten nicht signiert. So kann auch nicht ermittelt werden, welche Bürgerhäuser in Potsdam er mit Lüstern ausstattete, die meist den gegenüber Bergkristall billigeren Glasbehang trugen. Möglich wäre beispielsweise, dass der Kronleuchter im Gartensaal des Dortuschen Hauses (der heutigen Grundschule 8) in der Dortustraße von ihm stammt. Ungeklärt bleibt, wo Brockes seine Werkstatt betrieb.

Erhart Hohenstein

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })