Homepage: Perspektiven statt Retrospektiven Generation 50plus als Kinobesucher von morgen
Missstände der Gesellschaft sind zur besten Sendezeit im Fernesehen nicht unbedingt ein Thema. Zur Primetime setzen die Sender heute auf Unterhaltung.
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Missstände der Gesellschaft sind zur besten Sendezeit im Fernesehen nicht unbedingt ein Thema. Zur Primetime setzen die Sender heute auf Unterhaltung. Entsprechend schwierig sei es gewesen, die stellenweise sehr drastische Doku- Fiction „2030 – Aufstand der Alten“ um 20.15 Uhr im zweiten Programm zu platzieren, berichtet Heiner Gatzemeier vom ZDF. Für den letzten, recht beängstigenden Teil der Serie, in dem kranke, verarmte Rentner 2030 in Siech-Lager abgeschoben werden, hatte das ZDF sogar Telefon-Seelsorger hinzugezogen. Das Thema demografischer Wandel interessierte und polarisierte, wöchentlich erreichte das ZDF im Januar bis zu 30 Millionen Zuschauer, im Internet lief parallel eine rege Debatte.
Auf einem Symposium des Potsdamer Erich Pommer Instituts sollte es am Montag auf der Berlinale um die „Medienwelt der Best Ager“, also der Generation 50plus gehen. Eigentlich für die Filmindustrie ein erfreuliches Thema: Bereits 14 Prozent der Kinobesucher sind heute über 50 Jahre alt, im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung von zehn Prozent, was 20 Millionen Besuchern entspricht. Die Generation 50plus ist also der Kinomarkt der Zukunft.
Allerdings kommt man bei der Frage, welche Filmstoffe man den „Best Agern“ anbieten soll, nicht um die schlechten Aussichten für zukünftige Rentner-Generationen – also die Arbeitnehmer von heute – herum. Während die 50- und 60-Jährigen heute zu den Aktiven, Kulturinteressierten und Erlebnisbereiten zählen, malt ZDF-Mann Gatzemeier aufgrund er demografischen Fakten ein beängstigendes Bild der Zukunft. Er rechnet mit einer wachsenden Zahl von verarmten und obdachlosen Rentnern und mit einem Anstieg der Kriminalität unter ihnen. Die Pflege in den Altenheimen stoße heute schon an Grenzen, 2030 werde es hier einen verdoppelten Platzbedarf geben. Eine Mehr-Klassen-Medizin, bei der gute Versorgung nur gegen Aufzahlung zu erhalten ist, zeichne sich ebenfalls heute schon ab.
„Starker Tobak“, so der Direktor des Pommer-Instituts, Prof. Klaus Keil. Es bleibe zu hoffen, dass es zwischen den Generationen nicht zum Konflikt kommt. „Aber wir wissen es nicht“, sagte Keil. „Und es wird uns vermutlich alle betreffen.“ Gatzemeier vom ZDF erinnerte in diesem Zusammenhang dann auch daran, dass die Wahlen mit der steigenden Zahl älterer Menschen auch immer deutlicher von diesen entschieden werden. „Das sollte der Politik zu denken geben.“
An den Kinokassen werden in Zukunft wohl auch die Alten entscheiden, was läuft. Wie man unter diesen Voraussetzungen mehr Zuschauer erreichen kann, dazu hatte Klaus Sielker von der Werbeagentur „Zum Goldenen Hirschen“ klare Vorstellungen. Man müsse den „ganzen Menschen“ ernst nehmen und den Willen der Älteren zu einem aktiven und anspruchsvollen Leben berücksichtigen. Den Filmschaffenden empfahl der Werbeprofi, der neuen Zielgruppe Perspektiven anstatt von Retrospektiven anzubieten: „Mut wird belohnt.“ Heute schon würde das Publikum nach Werten suchen: „Weil wir einen Mangel an Werten haben.“ Die Werte der heutigen 50plus-Generation kreisen stark um Aktivität, Kultur und Erlebnis. Ob dies aber auch 2030 noch so sein wird, oder ob die „Best Ager“ dann zum „Worst Case“ werden, konnte auf dem Symposium noch niemand mit Sicherheit sagen. Jan Kixmüller
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