Homepage: Pioniergeist gefragt
Symposium im Kutschstall über „Raumpioniere“ als Chance für verlassene Landstriche in Brandenburg
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Ob Öko-Aussteiger, Hausbesetzer oder wirtschaftlicher Zwischennutzer: diese Begriffe sind von gestern. Gerade, wenn es um die dünn besiedelten Weiten des Landes Brandenburg geht. Lokal- und Landespolitiker, sowie Wissenschaftler, interessieren sich inzwischen für eine andere Kategorie Mensch. Im „wilden Osten“ der Republik ist wieder Pioniergeist gefragt. Dies zeigte jüngst ein Symposium im Potsdamer Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte. Das Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner hatte zu der Veranstaltung „Raumpioniere, Möglichkeitsräume und Expertenwissen“ geladen. Auf der umfangreichen Teilnehmerliste der Veranstaltung fanden sich nicht nur engagierte Bürger, Verwaltungsspezialisten und Regionalforscher, sondern auch der Innenminister des Landes Brandenburg, Jörg Schönbohm (CDU).
Der Begriff des „Raumpioniers“ soll für neue Chancen im ländlichen Brandenburg stehen. Er stammt von dem Regionalforscher Prof. Ulf Matthiesen. Matthiesen, dessen aktive Zeit am IRS mit diesem Symposium zu Ende ging, geht es um eine bestimmte Art von Unternehmertum. „Die neue Leere“, die in den Städten und Landkreisen entstanden sei, ziehe die Raumpioniere an. Sie seien „lebende Wünschelruten“, die experimentell mit den brachliegenden Räumen umgehen. Raumpioniere, so war im Laufe der Veranstaltung zu erfahren, haben oft lange Zeit in der Stadt verbracht. Manchmal haben sie familiäre Wurzeln im ländlichen Brandenburg. Dennoch: Die Regionen, die sie besiedeln, sind ihnen eher fremd.
Aber die Raumpioniere lassen sich auf das Neue ein und entdecken das Ungewöhnliche im ländlichen Alltag. Mit Kunstprojekten oder neuen Ideen in Landwirtschaft und Tourismus engagieren sich Raumpioniere persönlich, bauen sich eine neue Existenz auf. Eine Haltung, die Innenminister Schönbohm in Begeisterung versetzte. „Die Idee ist faszinierend“, beschied Schönbohm dem scheidenden Matthiesen. Sie stehe für etwas, so Schönbohm, was er in Brandenburg vermisse: „Eigeninitiative“.
Die Raumpioniere, so präzisierte Prof. Matthiesen im Rahmen einer Podiumsdiskussion, füllen bevorzugt weiße Flecken auf der Karte der Förderpolitik. „Cluster-Förderung“ lautet der neue politische und wissenschaftliche Konsens, der wirtschaftliche Wachstumspole konsequent bevorzugt. Doch Projekte wie die Solarwirtschaft in Frankfurt (Oder) oder der Großflughafen Schönefeld würden auch die Ungleichheiten im Land weiter verschärfen, so Matthiesen. Wo die wirtschaftliche Entwicklung stockt, fließt in Zukunft auch weniger Geld. Deshalb setzt Matthiesen hier auf „kreative Milieus“.
Für Matthiesen ist der Raumpionier eine Alternative zu der politischen Rhetorik der Innovation und Vernetzung. Letztere bezeichnete er als „Hype“, als leeres Gerede. Die Besiedelung des ländlichen Raumes durch finanzstarke und gut gebildete Pioniere ist für Matthiesen eine „spröde Alternative“ dazu. „Spröde“, weil Konflikte auch bei dieser Entwicklungsidee kaum zu vermeiden sind.
So zeigte die Veranstaltung, dass der Begriff des Raumpioniers nicht unumstritten ist. Die Bewohner des ländlichen Raumes reagieren oftmals skeptisch auf die experimentierfreudigen Pioniere. Ob bei der Wiederbelebung des Weinanbaus in Brandenburg, der Aufzucht längst vergessener Schweinerassen, oder, wie es hieß, der Entwicklung authentischer Brandenburger „Terroir“-Küche: manche Raumpioniere ähneln auf verdächtige Weise der städtischen Oberschicht, die ein neues Betätigungsfeld sucht. „Die Raumpioniere bilden sich nur ein, dass sie auf den Dörfern verstanden werden“, sagte dann auch Wolfgang de Bruyn. Der Leiter des Kleist-Museums in Frankfurt/Oder blickt auf lange Erfahrung in der kommunalen Verwaltung zurück. „Raumpioniere kommen mit viel Illusionen, und wenig ländlicher Erfahrung“. So wurde auch die Forderung laut, das Wissen der einheimischen Dorfbewohner nicht zu vergessen. So schwankt der Raumpionier zwischen Innovation und Provokation. Letztlich, so schien es zumindest, sind die Raumpioniere doch Verwandte der Hausbesetzer, Öko-Aussteiger und Zwischennutzer. Mark Minnes
Mark Minnes
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