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Homepage: Plädoyer für den freien Willen

Der Philosoph Michael Pauen sprach in Potsdam über Neurowissenschaften und Menschenbild

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Die Frage ist ein echter Klassiker: Revidieren die Naturwissenschaften unser Menschenbild? Ja, haben in den letzten Jahren einige Hirnforscher geantwortet. Öffentlichkeitswirksam traten Forscher wie Wolf Singer, Wolfgang Prinz und Gerhard Roth in Erscheinung. Manche Neurobiologen und Psychologen gingen so weit, den freien Willen des Menschen zu einem kulturellen Konstrukt ohne wissenschaftliche Grundlage zu erklären. Für viele Philosophen nicht weniger als eine Kriegserklärung. Der Magdeburger Philosoph Michael Pauen ist in diesem Kampf eher der neutrale Vermittler. Jüngst kam er ans Potsdamer Einstein Forum. Ein prall gefüllter Büchertisch am Eingang machte deutlich, dass Pauen sich schon lange mit diesen Fragen beschäftigt: Ob sich der Mensch vom Tier unterscheidet. Ob der freie Wille eine Illusion ist. Und ob wir mehr sind, als nur die Opfer unserer Gene und Erziehung.

So war es nur folgerichtig, dass Michael Pauens Vortrag unter dem Vorzeichen seines neuen Buches stand. „Was ist der Mensch?“, fragt der Titel des Buches. Es geht eben nicht um Kleinigkeiten. In seinem Vortrag wollte der Philosoph zeigen, dass wir uns auf unser Menschenbild verlassen können. Dass auch die jüngste naturwissenschaftliche Forschung uns nicht zu Automaten oder zu Tieren degradiert. Dementsprechend erwartungsvoll war die Stimmung im Publikum. Kritisch wurde die Ankündigung des Vortrags noch einmal studiert. Mancher meinte gar, schon jetzt Unschlüssigkeiten in dem Text gefunden zu haben. „Für die heutigen Neurowissenschaften ist das Gehirn nichts weiter als ein komplizierter Chip“, provozierte der Berliner Molekularbiologe Jens Reich zur Eröffnung. Und deutete weitreichende Konsequenzen für unser Menschenbild an. Letztlich seien alle unsere Verhaltensweisen determiniert, also vorausberechenbar. „Wir wollen doch mal sehen, was ein Philosoph zu dem Thema zu sagen hat.“

Der Philosoph wählte eine historische Herangehensweise. Durchaus ungewöhnlich, wie er später selber sagte. Philosophen mögen eigentlich Argumente zeitloser Klarheit. Schon Sigmund Freud, begann Michael Pauen, habe der Menschheit eine Kränkung durch den wissenschaftlichen Fortschritt diagnostiziert. Erst sei durch Kopernikus die Erde aus dem Mittelpunkt des Weltalls verdrängt worden. Dann habe Darwin den Menschen zum Tier unter Tieren gemacht. Schließlich habe er selbst, Sigmund Freud, dem Menschen „die dritte und empfindlichste Kränkung“ zugefügt: Die Psychologie habe gezeigt, dass das Ich „nicht einmal Herr im eigenen Hause ist“. Eine massive Veränderung des Menschenbildes, die Freud sich selber zuschrieb.

Womit Pauen zum Kern der Sache gekommen war. Denn heute meinen manche Psychologen und Hirnforscher auch, dass wir uns selber schlecht kennen. Es scheint also zu einer vierten Kränkung der Menschheit gekommen zu sein. „Eine fundamentale Kränkung, nicht einfach eine vorübergehende“, machte Michael Pauen den Ernst der Lage deutlich.

Manche Neurowissenschaftler glauben, die letzte Besonderheit des Menschen begraben zu können: den freien Willen. Ein weitreichender Schritt, sind Konzepte wie Schuld und Verantwortung doch mit dem freien Willen verknüpft. Unser Rechtssystem beruht auf diesen Vorstellungen. Doch wie kommen die Skeptiker zu diesem Schluss? Pauen zitierte den Münchner Psychologen Wolfgang Prinz. Prinz habe in vielen Publikationen einen fundamentalen Konflikt zwischen wissenschaftlichen Erklärungen und dem Gedanken der Freiheit geltend gemacht. In einer Welt der wissenschaftlichen Erklärungen sieht Prinz keinen Platz für Freiheit. Alles baue aufeinander auf, alles greife ineinander. Wo alles determiniert sei, gebe es keine Freiheit, umriss Pauen eine weit verbreitete Vorstellung. Und erläuterte, dass Wissenschaftler versuchen, kausale Ketten von Ereignissen herzustellen. Freiheit, meinen sie, müsse diese Ketten durchbrechen. Aus philosophischer Sicht ein Irrtum, sagte Michael Pauen. „Es kommt nicht darauf an, ob eine Handlung determiniert ist. Es kommt darauf an, wie sie determiniert ist.“ Eine Handlung müsse ohne äußeren Zwang geschehen. Auch müsse ausgeschlossen werden, dass sie nur zufällig stattgefunden hat. Schließlich müsse man sie sich selbst zuschreiben können. Dann könne man sie auch als frei bewerten. Ein Konflikt mit wissenschaftlichen Erklärungsmethoden ergebe sich hier aber keineswegs, so der Philosoph.

Somit verteidigte Pauen die These, dass auch die Neurowissenschaften unser Menschenbild nicht drastisch verändern werden. Wobei er nicht nur auf philosophische Argumente zurückgriff. Anders als einige seiner Fachkollegen kann Michael Pauen der Hirnforschung einiges abgewinnen. Ein Grund dafür sei seine langjährige Zusammenarbeit mit dem Hirnforscher Gerhard Roth. Pauen schloss seinen Vortrag mit neuen Ergebnissen vom „Berlin Brain Computer Interface“ (BBCI). Bei diesem Projekt geht es um den Zusammenhang von Handlung und Hirnaktivität. Neueste Befunde würden zeigen: Handlungen lassen sich anhand von Hirnaktivitäten recht gut vorhersagen. Aber nur dann, wenn sie bewusst und überlegt ausgeführt werden. Wenn eine freie Entscheidung gefällt wird.

Mark Minnes

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