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Ausgesprochen KAPUSTE: Plan B auf Usedom

Sommerurlaub 2013 auf Usedom. Etliche Kilometer entfernt im Osten ist die polnische Insel Wollin zu erkennen.

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Sommerurlaub 2013 auf Usedom. Etliche Kilometer entfernt im Osten ist die polnische Insel Wollin zu erkennen. Ich war einmal als Zweijähriger dort, im August 1939. Auf kleinen Schwarzweiß-Fotos posiere ich mit Helm, Schild und Schwert aus Pappe. Kurz vor dem Kriegsbeginn am 1. September fuhren wir zurück nach Berlin und vier Jahre danach ließ der Marshal of the Royal Air Force, Sir Arthur Harris, Bomber-Harris genannt, am 23. August 1943 unsere Wohnung in Schutt und Asche legen. Zurück ins Jahr 2013 an einem lästigen Regentag in Heringsdorf. Strand war nicht, also war Plan B angesagt. Nur welcher? Die Galerie von Otto Niemeyer-Holstein hatten wir schon besucht und Greifswald erschien uns zu weit. Blieb nur noch Peenemünde? Nein, keinesfalls! Die „Heeresversuchsanstalt“, die schon 1939 existierte, als ich auf Wollin Sandburgen baute, erinnert meine Generation zu sehr an das Gefasel von den Wunderwaffen, auf die viele Deutsche ihre sinnlosen Hoffnungen bis zuletzt gesetzt hatten, dies aber nicht wahr haben wollten, als der Krieg vorbei war. Wie die Jungs von der HJ, die im oberbayrischen Holzkirchen uns achtjährige Deppen belehrt hatten, dass der Führer noch Gewaltiges in petto habe. Sie waren die Ersten, die sich wegen Zigaretten und Kaugummi an die Amis ranschmissen. Nach Swinemünde fahren? Nein, ich war nicht scharf darauf, mich unter die deutschen Schnäppchenjäger zu mischen. Deshalb fuhren wir zur Kriegsgräberstätte bei Kamminke. Am 12. März 1945 hatten 671 US-Bomber innerhalb einer Stunde 1609 Tonnen Bomben auf das mit Flüchtlingen und Lazaretten vollgestopfte Swinemünde geschüttet, denen etwa 20 000 Menschen zum Opfer fielen. Tausende wurden auf der Gräberstätte beerdigt. Bronzetafeln mit den Namen von Toten mussten durch Kunststofftafeln ersetzt werden, weil sie geklaut worden waren. Auf der Rückfahrt machten wir doch einen Schlenker durch Swinemünde, zum Schluss parallel zu einem endlos langen Ramschmarkt, vor dem sich deutsche Touristen auf der Jagd nach Billigem, Zigaretten inklusive, drängten. Jeder freie Platz war zugeparkt und aus Ahlbeck schob sich eine Kilometer lange Autokolonne herüber, mit Kind und Kegel, Stoßstange an Stoßstange. Für mich das versöhnliche Ende eines verregneten Urlaubstages, durfte ich mich doch als besserer Mensch als all diese zur Beutesuche ausgeschwärmten Schnäppchenjäger fühlen und mir wie der Pharisäer in der Bibel sagen: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute.“

Unser Autor ist ehemaliger Stadtverordneter der CDU und war Vorsitzender des Ausschusses für Kultur. Er lebt in Eiche.

Eberhard Kapuste

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