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Jahre des Schmerzes und der Freude. Karl Eisbein sah zu, wie die Ausweitung der Grenze Teile des historischen Parks Babelsberg zerstörte. Es war ihm als Chef des Parks vergönnt, die Wiederherstellung der Anlagen nach dem Mauerfall selbst zu leiten.

© Stefan Gloede

Landeshauptstadt: Planierraupen gegen Lenné und Pückler

36 Jahre lang war Karl Eisbein Chef des Babelsberger Parks – die Mauer war sein Nachbar

Von Peer Straube

Babelsberg - Die Erinnerung schmerzt. Auch nach über 20 Jahren noch. Karl Eisbein hat Tränen in den Augen, als er sich den Mauerfall ins Gedächtnis ruft. „Das war einfach sehr emotional.“

Karl Eisbein hat eine besondere Beziehung zur Perfidität der DDR-Grenze, dieses Systems des Wegschließens der eigenen Bevölkerung und der damit verbundenen Todesgefahr. Denn Eisbein hat 20 Jahre lang direkt an dieser Grenze gearbeitet. Als Chef des Parks Babelsberg war er Tag für Tag konfrontiert mit Grenzzaun, Stacheldraht und Hundelaufkäfigen, mit Wachtürmen und Kolonnenwegen für die Grenzposten. Er hat erlebt, wie der von Lenné und Pückler elegant modellierte Hang unterhalb des Schlosses von Bulldozern planiert wurde, wie Sichtbeziehungen zuwucherten, wie das heutige Weltkulturerbe auf 14 Hektar zwischen Klein Glienicke, Schloss Babelsberg und Kleinem Schloss systematisch zerstört wurde, damit ein totalitärer Staat seine Menschen professionell und wenn nötig tödlich am Weglaufen hindern konnte. „Es war schlimm“, sagt Eisbein.

Im Herbst 1969 kommt der junge Mann nach Babelsberg. 26 Jahre alt ist er damals und bereits Assistent des Gartendirektors. Nur drei Jahre später – er ist noch keine 30 – wird er bereits Fachbereichsleiter für den Park Babelsberg. Die Grenzanlagen sehen zu diesem Zeitpunkt „noch harmlos“ aus, sagt Eisbein. Den Zaun am Ufer sieht man nicht, das Terrain wirkt aber bereits vernachlässigt.

Damals, 1972, sei das heute verfallene Maschinenhaus noch bewohnt gewesen, erzählt Eisbein. Es liegt im Grenzgebiet und nicht einmal die Müllabfuhr darf hinein. Alle paar Wochen holt Eisbein – der inzwischen einen Grenzausweis hat und ins Sperrgebiet darf – zusammen mit einer SED-Genossin den Abfall mit einem Pferdewagen ab. Das Leben im Todesstreifen treibt bizarre Blüten.

Mitte der 70er Jahre wird Eisbein Zeuge der Erweiterung der Grenzanlagen in Richtung Kleines Schloss, in dem er inzwischen wohnt. Schnell lässt er noch ein paar Bäume fällen, um Sichtbeziehungen freizuhalten, um die er sich die nächsten Jahre nicht mehr würde kümmern können. Dann erreicht ihn eine Hiobsbotschaft: Die SED-Führung plant, das von Persius erbaute und inzwischen leergezogene Maschinenhaus zu sprengen. Dem Generaldirektor der Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci, Joachim Mückenberger, gelingt es, seinen Bruder Erich, ein hohes Tier im SED-Politbüro, zu überreden, seinen Einfluss geltend zu machen. „Es wäre nicht gut angekommen, vor den Augen der Westberliner einen Persius-Bau zu sprengen“, sagt Eisbein lächelnd.

Doch fassungslos muss der Parkchef mitansehen, wie Lennés und Pücklers Erbe von Planierraupen begraben wird. Er steht am Zaun und versucht sich zu merken, wo die Erde hingeschoben wird, damit er die Information eines Tages an seinen Nachfolger weitergeben kann. „Dass ich das Glück haben würde, die Zerstörung selbst rückgängig zu machen, habe ich damals nicht geglaubt.“ Andere Schäden sind irreversibel: Die Rosentreppe wird im oberen Bereich mit Erde verfüllt, um Platz für die Hundelaufgitter zu bekommen. Zufällig wird Eisbein Zeuge, wie Arbeiter das wertvolle Rosengitter der Laubengänge mit Schneidbrennern zerlegen. Er will wenigstens die Teile retten, doch sie sind anderntags bereits im Schmelzofen des Stahlwerks gelandet. „Das hat mich unheimlich tief getroffen“, sagt Eisbein. Mit einem anderen Artefakt hat er mehr Glück. Eine alte Steinwalze, mit der zur Entstehungszeit des Parks die Wege verdichtet wurden und die an der Rosentreppe steht, will Eisbein vor der Vernichtung bewahren und sie in die Gärtnerei bringen lassen. Die Grenzoffiziere erklären jedoch, sie hätten dort keine Walze gesehen. Zufällig sieht er sie dann hinter dem Zaun einer Kaserne in der Rosa-Luxemburg-Straße wieder. Mit Mückenbergers Hilfe holt Eisbein das historische Werkzeug zurück – heute steht die Walze im Depot der Schlösserstiftung.

Inzwischen ist die Grenze dem Parkchef bis vor die eigene Haustür gerückt. Nachts hält ihn das Gebell der Hunde wach, deren Laufkäfige gleich neben dem Kleinen Schloss beginnen. Eines Nachts erlebt er einen Fluchtversuch mit. Ein Mann will über die Havel in Richtung Glienicker Brücke nach Westberlin fliehen. „Plötzlich“, erinnert sich Eisbein, „standen jede Menge Autos vor dem Kleinen Schloss“. Ein Patrouillenboot stellt den Flüchtling noch im Wasser und zwingt ihn, an Bord zu kommen.

1987 darf Eisbein zum ersten Mal nach Westdeutschland fahren. Auf dem Rückweg steigt er in Wannsee aus. Der Kastellan von Schloss Glienicke lässt ihn auf den Wasserturm steigen, zum ersten Mal sieht Eisbein seinen Park und die Grenze von der anderen Seite. Er fotografiert alles, lässt aber den Film bei Verwandten in Westberlin. „Die Arbeit hier aufs Spiel setzen, das wollte ich nicht.“

Dass die Mauer gefallen ist, bekommt Eisbein erst am 10. November 1989 mit. „Die Kollegen haben mir das erzählt, ich habe das erst gar nicht begriffen.“ Plötzlich ist sie da, die Chance. Der Parkchef kann Lenné und Pückler, kann ihre anmutige Landschaftsgestaltung zurückholen. Bereits im Sommer 1990 sind die eigentlichen Grenzanlagen verschwunden. Für den Rest aber, für die Bodenmodellierung, das Freilegen der historischen Wege und die Auslichtung des Wildwuchses für die Sichtachsen, wird er Jahre brauchen. Er setzt sich durch, auch gegen Widerstände von Umweltschützern, die das Abholzen vieler Bäume kritisieren. Vor allem das Bodenrelief nach originalem Vorbild zu gestalten kostet Zeit. „Man muss so lange dranbleiben, bis man das Gefühl hat: Es stimmt wieder“, beschreibt der heute 68-Jährige die Herausforderung. Als Eisbein 2008 in den Ruhestand geht, ist das Werk in den Grundzügen komplett. „Die Naturlinien und die Kunstlinien stimmen jetzt wieder“, sagt er und es klingt zufrieden. „So eine Anlage bekommt man nur einmal im Leben in die Hand.“ Sein Blick schweift über das satte Grün zur Glienicker Brücke. „Das ist nicht nur einer der schönsten Blicke der Stadt, das ist Welterbe“, sagt Eisbein gerührt. Über seine Wange rinnt eine Träne. Diesmal ist es Freude.

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