zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Platten statt Holländerhäuser

Was aus dem Holländischen Viertel werden sollte – die Pläne der DDR-Stadtarchitekten (Teil 1)

Stand:

„Behalten Sie die Jacke an, hier ist nicht geheizt, ich lebe auf einer Baustelle“, sagt Christian Wendland. Die „Baustelle“ ist ein ehemaliges Pfarrhaus in der Burgstraße, gebaut nach Plänen von Georg Christian Unger. Hier in seinem Wohn- und Arbeitshaus bewahrt Wendland so manchen „Schatz“ aus der Potsdamer Architekturgeschichte auf.

Nahezu ein halbes Jahrhundert beschäftigt sich der 1938 geborene Architekt mit Potsdamer Baukunst und Gebäudeerhaltung. Vor dem Zusammenbruch der DDR beim VEB Gebäudewirtschaft verantwortlich für Rekonstruktion, hat er wie kaum ein anderer einen Einblick in die Bereiche um die Brandenburger Straße und das Holländische Viertel.

Einer seiner „Schätze“ steckt zwischen zwei Pappdeckeln: fünfzig Schreibmaschinenseiten, vervielfältigt nach dem primitiven Ormig-Verfahren, dazu Baupläne und Modelldarstellungen. „Das ist eine Studie aus dem Jahre 1972 über den Umbau des Holländischen Viertels“, erklärt Wendland und klappt die Zeichnungen aus. Ein Bild zeigt die „Straße der Jugend“, die an der Nordseite des Holländischen Viertels vorbeiführt. Sie ist auf der Darstellung so breit wie die Hegelallee. Von den Holländischen Häusern ist nichts mehr zu sehen. Statt ihrer säumen Plattenbauten den Straßenrand. Ein ähnliches Bild bietet eine Abbildung der Hebbelstraße. Auf einer Skizze, das eines der vier Karrees des im 18. Jahrhundert entstandenen Quartiers zeigt, sind neben Holländergiebeln im Hintergrund klotzartige Betonbauten erkennbar.

„Wären diese Pläne verwirklicht worden, wäre vom Holländischen Viertel nur ein Rudiment übrig geblieben“, sagt Wendland und er zitiert den damaligen Stadtarchitekten Werner Berg: „Die Reproduktion einer Stadt besteht aus Abriss und Neubau.“ Berg war laut Wendland ein dem System absolut ergebener Staatsfunktionär: „Sein Stasi-Tarnname Teddy, der Kosename für den Kommunistenführer Ernst Thälmann, spricht Bände.“

Grund für die Umbaupläne war die beabsichtigte neue Verkehrsführung. Die tieferen Ursachen lagen aber wohl im Unvermögen, das historische Stadtviertel zu sanieren. Der Verfall der barocken Innenstadt hatte in den siebziger Jahren das holländische Viertel an den Rand seiner Zerstörung gebracht. Der westdeutsche Fernsehjournalist Lothar Loewe hatte den Verfall der barocken Altstadt in erschütternden Bildern festgehalten und der DDR den Spiegel vorgehalten. Auf einer Dampferfahrt auf einem Schiff der Weißen Flotte konfrontierte er die damalige Oberbürgermeisterin Brunhilde Hanke damit. Die Ausweisung des Korrespondenten im Dezember 1976 war mit Sicherheit auch auf diese Milieuschilderungen zurückzuführen, wenn auch als offizieller Grund Loewes Äußerung, an der innerdeutschen Grenze werde „auf Menschen wie auf Hasen“ geschossen, galt.

Die kritischen Berichte im Westfernsehen wirkten auf die Verantwortlichen in Potsdam wie ein Schock und lösten hektische Aktivitäten aus, die unter anderem zur Umgestaltung der damaligen Klement-Gottwald-Straße zur Fußgängerzone führten.

Die Rekonstruktion des Holländischen Viertels mit Abrissen, Plattenbauten und breiteren Straßen sollte planmäßig 1985 abgeschlossen sein. Auf den 134 Grundstücken wären nur 22 historische Häuser übrig geblieben. Es kam nicht dazu, „denn ständig wurden die Baureparaturpläne nicht erfüllt“, nennt Wendland einen Grund. Ein anderer: Landeskonservator Ludwig Deiters hatte den Vorschlag unterbreitet, vor der Rekonstruktion ein Pilotprojekt im kleinen Maßstab zu entwickeln. So entstanden die Musterwohnungen in der Mittelstraße, die sich die Potsdamer anschauen durften. „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, erinnert sich Wendland an die Masse der Schaulustigen. „Die Menschen standen Schlange, als wenn’s Bananen gibt.“ Mehr als 2500 Leute besuchten innerhalb weniger Tage die sanierte 54-Quadratmeter-Wohnung, was einem Votum für den Erhalt des historischen Viertel gleich kam.

Wendland erinnert sich an eine Führung durch die Mittelstraße im Jahre 1975, an der neben dem Stadtarchitekten Werner Berg der Vorsitzende des Rates des Bezirkes Potsdam Herbert Tzschoppe teilnahm. Nach dem Besuch der Musterwohnung sei die Gruppe auf die andere Straßenseite gegangen. Tzschoppe habe versonnen das rekonstruierte Haus betrachtet und zum Stadtarchitekten gesagt: „Also Werner, das mit dem Abriss, das kannst du vergessen.“

Tzschoppes Machtwort setzte zwar erst einmal einen Schlusspunkt unter die Abrissabsichten, doch in der Substanz änderte sich nichts. „Berg hat die Mittel für die komplexe Instandsetzung nicht ins Holländische Viertel geleitet.“

So bot das Viertel zur Wende ein Bild des Verfalls. 1991 standen 34 Prozent der Häuser leer, viele von ihnen waren praktisch abrissreif.

Im Westen hatten findige Baufirmen den touristischen und kommerziellen Wert der vier Holländischen Karrees schnell erkannt. Es gab Investitionsangebote und neue Umbaupläne. Letztere sahen jedoch nicht viel anders aus als die Rekonstruktionsvarianten der DDR aus dem Jahre 1972. „Es war abenteuerlich“, erinnert sich Wendland an ein Gespräch zwischen einer Potsdamer Abordnung und einem Investor am Berliner Ku’damm. Das auf Eichenpfählen gegründete Quartier war für einen merkantilen Umbau denkbar ungeeignet. Also sollten die alten Gründungen verschwinden, um Platz für Tiefgaragen zu schaffen. „Das Ganze sollte eine Betonkiste mit Parkgeschoss werden“, so Wendland. Lediglich die historischen Fassaden sollten als Staffage stehen bleiben.“

Die Fotoausstellung zur Sanierung des Holländischen Viertels im Herbst vergangenen Jahres im Museumshaus Benkertstraße 3, dokumentierte eindrucksvoll, wie es mit der Sanierung trotz vermögensrechtlicher Ansprüche auf mehr als der Hälfte der Grundstücke weiterging. Die Stadtverordneten legten mit dem Beschluss einer Sanierungssatzung 1992 die Grundlage hierfür.

Den 2. Teil der „Pläne für das Holländische Viertel“ lesen Sie am kommenden Mittwoch in den PNN – außerdem können Sie uns auf weitere Luftschlösser aufmerksam machen: Wer einen bisher nicht verwirklichten Architektur-Entwurf für die PNN-Serie vorschlagen möchte, meldet sich unter Tel.: (0331) 2376 134, Fax: (0331) 23 76 300 oder per E-mail an lokales.pnn@pnn.de.

Günter Schenke

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })