Etwas HELLA: Plattgemacht und keiner mosert
Ich liebe den Aufschrei der Potsdamer, wenn ihnen etwas nicht gefällt. Ganz egal, ob es sich um Bausünden handelt, um schadstoffbelastete Luft, Umgehungsstraßen, zu wenig oder zu viel Handel oder die Gedenkkultur.
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Ich liebe den Aufschrei der Potsdamer, wenn ihnen etwas nicht gefällt. Ganz egal, ob es sich um Bausünden handelt, um schadstoffbelastete Luft, Umgehungsstraßen, zu wenig oder zu viel Handel oder die Gedenkkultur. Jawohl, Potsdamer, schärft die Klingen, liefert euch kontroverse Gefechte, so muss es sein, wenn man seine Stadt liebt und sie mitgestalten will. Lasst keine voreiligen Kompromisse zu und seid bereit, den Baulücken einen edel-barocken Status zuzuerkennen, falls bezahlbare Kompromisslösungen überhaupt nicht in euer historisches Stadtbild passen.
Vor allem ihr Altpotsdamer werdet nicht kampfesmüde. Denn wo ist der Aufschrei geblieben, als dieser Tage das Blauhaus, das früher auf den völkerverbindenden Namen „Drushba/Freundschaft“ hörte, völlig sang- und klanglos plattgemacht wurde? Wieso hat niemand seine Stimme erhoben, der dort einst ganze Nächte bei Disko-Klängen durchtanzte oder als Rentner den Ententanz zelebrierte? Nicht einmal Silvesterraketen sind als letzter Protest abgefeuert worden, obwohl doch so mancher in drushbamäßigen Umarmungen das neue Jahr begrüßte. Bei der Musik vom Planwagen wurde zusammen mit den West-Freunden der Westernmusik sogar die Vorvereinigung der Vereinigung gefeiert. Und wo blieb zumindest ehrendes Gedenken all der Gruppen und Vereine, zum Beispiel der Rassekatzenzüchter, die sich im Blauhaus versammelten? Nicht mal ein klägliches Protestmiau.
Vor der Wende war das „Drushba“ sogar ein Hort des Widerstandes, wenn auch nur eines ganz kleinen. Denn Gastronomie und Küche boten Aussteigern immer wieder eine Chance, bei ganz unideologischen Diensten am feierfreudigen Gast sein Geld zu verdienen. Vor allem Trinkgeld. Selbst ich habe dort gekellnert, als ich mein Wir-werden-den-Kapitalismus-schon-noch-überholen-ohne- ihn-einzuholen-Geschreibsel nicht mehr lesen konnte. Na gut, der Veranstaltungsschuppen war hinüber und das benachbarte Humboldt-Gymnasium braucht den Platz dringend für einen Erweiterungsbau, aber ein bisschen mehr Gedenkkultur hätte ich mir schon gewünscht, zumal das blaue Blauhaus angeblich eines der letzten Bauten dieser sozialistischen Bauserie war, das noch überlebt hatte. Ich gehe ja nicht so weit, Denkmalstatus für erwägenswert zu halten. Aber ein bisschen Aufschrei hätte schon gutgetan – haben denn alle bereits Alzheimer, die im „Drushba“ einst frohe Stunden verlebten?
Selbstverständlich gehe ich samt meiner Erinnerungskultur auch mit der neuen Zeit. Deshalb wünsche ich mir nun statt des Blauhauses moderne Architektur, die nicht nur die Ansprüche des Gymnasiums erfüllt, das aus allen Nähten platzt, sondern die als großer architektonischer Wurf von sich reden macht. So etwas zwischen Friedensreich Hundertwasser und Sir Norman Forster. Jedenfalls etwas, an dem sich experimentierfreudige, zukunftszugewandte Architekten mal so richtig austoben und Potsdam als Hort supermoderner Architektur weltweit ins Gerede bringen.
Dann gibt es garantiert den Aufschrei, den ich beim Abriss des Blauhauses so sehr vermisst habe.
Unsere Autorin ist langjährige Redakteurin und jetzt freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Potsdam.
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