Landeshauptstadt: Pleitegeier kreist über Potsdamer Rathaus
Aktionswoche „Reformen statt Kahlschlag“ / Öffentliche Mitgliederversammlung der Stadtverwaltung im Nikolaisaal
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Aktionswoche „Reformen statt Kahlschlag“ / Öffentliche Mitgliederversammlung der Stadtverwaltung im Nikolaisaal Von Günter Schenke Das habe er noch nie machen müssen, sagt Oberbürgermeister Jann Jakobs: eine Flagge auf Halbmast setzen. Gestern früh vor dem Stadthaus musste er das Ungewöhnliche tun – aus Protest gegen die dramatisch schlechte Finanzlage der Stadt, die nicht von ihr verschuldet wurde. Das Hissen der Protestflagge ist Teil einer bundesweiten Aktionskampagne, an der sich Potsdam beteiligt. Die Requisite des Hans Otto Theaters ließ sich nicht lange bitten, um einen großen leeren Sack zu nähen. Und damit jeder beim Betreten des Rathauses gleich weiß, woran er ist und was er zu erwarten hat, steht mit roter Farbe darauf „Das Stadtsäckel ist leer“. Über allem schwebt ein schwarzer Vogel, von den Requisiteuren offenbar mit besonderer Liebe gebastelt: Die schlaffen Flügel flattern im Wind – ein Pleitegeier. Damit wird optisch in diesen Tagen sichtbar, was sachlich schon Thema mindestens der vergangenen fünf Jahre ist. Potsdam steuert mit seinem Haushalt auf ein Desaster zu, das möglicherweise zum nahezu völligen Abbau der so genannten freiwilligen Leistungen führen könnte. Von der von Stadtkämmerer Burkhard Exner beim Dienstantritt in Potsdam erklärten Absicht, den Potsdamer Haushalt auszugleichen, ist nichts mehr übrig geblieben. Im Gegenteil: Das Defizit dürfte 2004 die 50-Millionen-Euro-Grenze erreichen. Das heißt, ein genehmigungsfähiger Haushalt wäre nicht gegeben. Exner spricht daher auch von einer nicht verfassungskonformen Situation. Die Kommunen sind an der Grenzen der Selbstverwaltung angelangt, die das Grundgesetz im Artikel 28 samt der „finanziellen Eigenverantwortung“ zum Grundrecht erhebt. Pleitegeier, leeres Stadtsäckel und Halbmastfahnen – eine stille Aktion gestern vor dem Rathaus. Mehr Journalisten als Offizielle und interessierte Potsdamer waren dabei. Reich vertreten war die PDS mit ihrem Fraktionsführer Hans-Jürgen Scharfenberg. Dieser, jetzt Chef der stärksten Verordentenfraktion, hatte erklärt, beim Verteilungskampf um die Haushaltsmittel genau aufpassen zu wollen, wenn es um die Gelder für das wieder aufzubauende Stadtschloss und für die Instandsetzung von Schulen und Kitas gehe. Aber vielleicht gibt es diesen Verteilungskampf gar nicht. Das Ende der finanziellen Eigenverantwortung bedeutet nämlich auch das Ende eines derartigen Kräftespiels der Stadtfraktionen. Gestern um zehn Uhr hatte Jakobs als Chef der Verwaltung seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu einer öffentlichen Versammlung in den Nikolaisaal eingeladen. Etwa die Hälfte der Bediensteten waren in den Konzertsaal gekommen, um die Reden des Oberbürgermeisters, des Geschäftsführers des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg Karl-Ludwig Böttcher und des Ver.di-Chefs Werner Ruhnke anzuhören. Zweck aller Aktionen ist laut Böttcher, eine Gemeindefinanzreform durchdrücken zu helfen, die durch Reform der Gewerbesteuer und durch Veränderungen der Leistungen für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger Milliarden in die Kommunalkassen bringen soll. Das Zusammenspiel von Gewerkschaft und Verwaltungsspitze mutet befremdlich an. Noch vor Monaten zogen die öffentlichen Bediensteten in der Hegelallee vor die dortigen Gebäude der Stadtverwaltung, um für die Angleichung der Tarife an das Westniveau zu protestieren. Oberbürgermeister Jakobs drohte öffentlich mit weiterem Stellenabbau, wenn die Ver.di-Forderungen durchgesetzt werden. Hat sich daran heute etwas geändert? Ver.di-Chef Ruhnke beklagte zwar, dass die Angleichung der Tarife der Ost-Bediensteten erst im Jahre 2009 vollzogen werde („Das hat mit Gerechtigkeit wenig zu tun“), wertete aber gleichzeitig den Stellenabbau ohne betriebsbedingte Kündigungen als Sparbemühung der Kommunen. In Brandenburg ist jeder Fünfte arbeitslos, das sei „ein Skandal“, sagt der Ver.di-Chef. Und Jakobs beklagt, dass für Jugendhilfe und Soziales die Ausgaben der Stadt in diesem Jahr gegenüber dem Jahr 2000 um 20 Prozent angestiegen seien. Dieser Anstieg setze sich laut Exner in den nächsten Jahren fort. Selbst wenn sämtliche freiwilligen Leistungen eingestellt würden, bleibe ein Defizit von 15 Millionen Euro. Sichtlich freudlos verkündet Jakobs, dass die Stadt ihre Schularbeiten gemacht habe und allein vom Jahre 2000 an bis heute einen Personalabbau um 15 Prozent erreicht habe. „Das Ende der Belastbarkeit ist erreicht, die kommunale Selbstverwaltung darf nicht verkümmern“, kommentiert er diesen Prozess, der das gegenwärtige Defizit nicht verhindern konnte. „Wir hängen am Tropf des Landes“, beklagt er die missliche Situation Potsdams.
Günter Schenke
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