Von Guido Berg: Pogo unterm Riesenrad
Angela Kowalczyk, Zeitzeugin der Lindenstraße 54, erzählt im Film „Der Verrat“, wie sie Stasi-Opfer wurde
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Schon mehrmals hat Angela Kowalczyk ihre Geschichte erzählt, vor Schülern in der Potsdamer Lindenstraße 54. Sie komme gern nach Potsdam, das Konzept der Gedenkstätte findet sie gut, sagte sie gestern den PNN. Der Film „Der Verrat – Wie die Stasi Kinder und Jugendliche als Spitzel missbrauchte“ des Berliner Filmemachers Andreas Kuno Richter enthält Sequenzen aus dem Potsdamer Stasi-Untersuchungsgefängnis; Angela Kowalczyk mit Schülern, Angela Kowalczyk etwas eingeschüchtert im Innenhof des Gefängnisses. 1982 war sie sieben Wochen in Stasi- Untersuchungshaft, nicht in Potsdam, in Berlin-Pankow. Damals war sie, eine Ostberliner Punkerin, die alle nur „China“ nannten, offenbar von ihrer Freundin Judith Barton, Spitzname „Nina“, verraten worden. China hatte Flugblätter verteilt, handgetippte Flyer, auf denen stand: „Anstatt die Jungen Soldaten spielen zu lassen, sollte man die jungen Soldaten spielen lassen.“
Punk, erzählt Angela Kowalczyk, war damals in der DDR eine Protesthaltung und hatte mit dem üblichen Bild, mit einer Nadel im Arm am Bahnhof Zoo abzuhängen, nichts zu tun. Treffpunkt der Punkszene war der Berliner Vergnügungspark Plänterwald, sie tanzten Pogo unterm Riesenrad. Dem DDR-Staat suspekt, setzte die Stasi Gleichaltrige auf die unkonformistischen jungen Leute an. Nina zum Beispiel. Andreas Kuno Richter, Jahrgang 1959, gelingt mit seinem Film ein Doppelporträt, das jede simple Dualität von Täter und Opfer vermeidet. Nina erzählt vor Andreas Kuno Richters Kamera, dass sie nett waren, die Leute von der Stasi. Das habe es ihr so schwer gemacht, nein zu sagen. „Wenn sie mich angeschrien hätten, hätte ich natürlich gleich dicht gemacht.“ Nina verpflichtet sich als 14-Jährige, der Stasi zu berichten. „Sie haben mich vor die Wahl gestellt.“ Entweder sie kooperiert oder ihre Mutter kriegt Probleme auf der Arbeitsstelle. An anderer Stelle sagt sie: „Ich hab daran geglaubt als Kind, ich konnte nicht anders.“
Nina und China sind „wie Schwestern“, sagt China rückblickend. Als China verhaftet wird und ihren 17. Geburtstag im Stasi-Knast verbringt, erschrickt Nina. Bis weit nach der Wende glaubt sie, China ins Gefängnis gebracht zu haben. Erst die Stasi-Akten offenbaren, dass ihre Berichte nicht maßgebend waren für Chinas Verhaftung. Die stärkste Szene in „Der Verrat“ zeigt China und Nina beim Wiedersehen im längst stillgelegten Plänterwald. Sie sind immer noch Freundinnen. Nina sagt: „War halt Scheiße, meine Mutter hat sie reingelassen, da konnte ick schlecht abhauen.“ China sagt: „Für mich ist die Sache geklärt.“ Jahrelang wusste Nina nicht, „wie ich aus der Nummer wieder rauskommen sollte“. Schon lange vor der Wende findet sie nicht nur die Kraft, der Stasi endlich die kalte Schulter zu zeigen. Sie offenbart ihre Stasi-Vergangenheit sogar den Mitgliedern der Band „Namenlos“, der sie sich 1985 anschließt. „Das war für uns in Ordnung“, sagt der Band-Chef, den sie nur „A-MichA“ nennen.
Andreas Kuno Richter hat für seinen Film weitere „Kinder-IMs“ gefunden, ehemalige Informelle Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit im Kindesalter. Da ist IM „Leonardo“, der seinen Namen nicht sagen und sein Gesicht nicht in die Kamera halten will, der sagt: „Ich wusste, dass ich Freunde belogen habe. Ich war aber zu feige, das aufzulösen.“ Da ist sein damaliger Freund Peter Rösch, den „Leonardo“ bei der Stasi verpfiff, der noch heute jede Vergebung verweigert: „Wir haben nichts mehr miteinander zu tun.“ Richter schildert aber auch das Schicksal von Peter Heubach, der als Jugendlicher der Stasi unter dem Deckname IM „Paul“ aus dem Geschehen im Jugendclub berichtet. Als seine IM-Tätigkeit in den 1990er Jahren aufgedeckt wird, verliert er seine Anstellung als Rettungsschwimmer im städtischen Schwimmbad. Ein Gericht rehabilitiert ihn später, da er minderjährig war.
Noch heute lebt Angela Kowalczyk in Berlin-Treptow. Im Eigenverlag – www.cpl-verlag.de – vertreibt sie die Bücher, die sie über die Zeit als Punkerin in Ost-Berlin schrieb. Ab Januar 2011 will sie Schülern wieder in der Potsdamer Lindenstraße 54 ihre Geschichte erzählen, die Geschichte von China und Nina.
Der Film „Der Verrat - Wie die Stasi Kinder und Jugendliche als Spitzel missbrauchte“ von Andreas Kuno Richter wird heute im Berliner Kulturzentrum „Wabe“, Danziger Straße 101, uraufgeführt. Beginn ist um 19 Uhr. Der Eintritt ist frei. Der TV-Sender RTL strahlt den Film am 3. Oktober 2010 ab 23.15 Uhr aus.
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