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Bittere Worte. Shimon Nebrat von der Gesetzestreuen Jüdischen Gemeinde beklagte bei der Gedenkveranstaltung die Ausgrenzung von Juden in Potsdam heute.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Pogrom-Gedenken von Streit überschattet

Nebrat wendet sich gegen „Sonntagsreden“ und mangelnde Förderung / Joffe kritisiert Schulze-Eggert

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Innenstadt - Das Gedenken an die Opfer der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde gestern überschattet durch die aktuellen Debatten um das jüdische Leben in Potsdam und den Bau einer neuen Synagoge.

Synagogen und jüdische Einrichtungen brannten nieder, sagte der Geschäftsführer der Gesetzestreuen jüdischen Gemeinde, Shimon Nebrat, am Standort der ehemaligen Synagoge am Platz der Einheit und fragte: „Kann es wieder dazu kommen?“ Seine Antwort: „Nein, denn wir haben keine jüdischen Schulen und Kindergärten.“ Auch eine Synagoge könne in Potsdam nicht geschändet werden, denn es gebe keine Synagoge in Potsdam. „Können wir beraubt werden?“, fragte Nebrat in Gegenwart des Oberbürgermeisters Jann Jakobs (SPD) und zahlreicher Mitglieder der Jüdischen Gemeinde und der christlichen Kirchen in der Stadt. Auch hier verneinte Nebrat, „denn wir geben uns als Juden nicht zu erkennen. Für unsere Nachbarn sind wir arme Russen.“ Nebrat fasste zusammen: „Wir haben hier nichts zu befürchten.“ Seiner Ansicht nach ist die Wiedergewinnung jüdischen Lebens in Potsdam nicht mit „Sonntagsreden“ zu erreichen. Nebrat, der in seinen Forderungen nach einer höheren Förderung jüdischen Lebens durch das Land Brandenburg und die Stadt Potsdam einen sehr rigiden Kurs verfolgt: „Wozu das Gedächtnistheater?“ Und: „Die Juden fühlen sich hier wieder ausgegrenzt.“

Aus den Reihen der Mitglieder der Jüdischen Gemeinde erhielt Nebrat keine positive Resonanz. Nikolai Epchsteine sagte, es könnten nicht immer nur Forderungen aufgestellt werden, die Juden müssten selbst etwas auf die Beine stellen.

Anfangs musste Hans-Jürgen Schulze- Eggert von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Potsdam e.V. sein Bedauern ausdrücken, dass es ihm nicht gelungen sei, die Synagogengemeinde für die Mitarbeit an der Gedenkfeier zu gewinnen. Deren Vorsitzender Ud Joffe kritisierte seinerseits Schulze-Eggert in einem offenen Brief, der gestern verschickt wurde. Darin wirft Joffe Schulze-Eggert Ausgrenzung der Synagogengemeinde vor. Schulze-Eggert zeige weder Toleranz noch Verständnis gegenüber den mittlerweile 150 Mitgliedern der Synagogengemeinde. Anlass für Joffes Zorn ist offenbar die Ablehnung Schulze-Eggerts, an der Weihe der Thora- Rolle der Synagogengemeinde teilzunehmen. Joffe zitiert in seinem Brief aus dem Ablehnungsschreiben Schulze-Eggerts: „Noch schmerzt die im Streit erfolgte Abspaltung der Synagogengemeinde, zumal mich die Gründe dafür bis heute nicht überzeugen.” Die Aufforderung Schulze- Eggerts, am Gedenken mitzuwirken, habe ihn nicht überzeugt, so Joffe: „Man erkennt Halbherzigkeit, wenn sie da ist.“ Joffe erinnerte an die Politik des Synagogenbauvereins, in dessen Vorstand Schulze-Eggert sitzt: „Sie haben in diesem Jahr 50 jüdischen Potsdamer Bürgern hartnäckig die legitime Mitgliedschaft im Synagogen-Bauverein verwehrt. Das ist Ausgrenzung!“ Schulze-Eggert erklärte den PNN, das Gedenken an die Pogromnacht sei ungeeignet, Konflikte auszutragen.

Noch vor Nebrat hielt Oberbürgermeister Jakobs seine Rede: „Spät, zu spät und vor allem zu schwach“ hätten auch die Gläubigen der christlichen Kirchen auf die Judenvernichtung reagiert. Der „damalige exorbitante Vertreibungs- und Vernichtungswille“ lehre eine klare Botschaft: „Glaubensfreiheit, Menschenrechte und Demokratie sind unteilbar.“ Sehr bewegend sagte Jakobs, „voller Respekt und Anerkennung dürfen wir heute zu den Staaten der Arabischen Welt schauen“, in denen junge Leute „uneinsichtige, ihr eigenes Volk bekriegende politische Kasten in die Knie zwingen“.

Wieder auf Potsdam blickend, erklärte Jakobs: „Zusammen wollen wir uns an der Wiedergeburt der Stadt freuen, wie sie sich am Wiederaufbau der Synagoge und des Stadtschlosses über Grenzen hinweg sichtbar und für alle unumkehrbar manifestiert.“ Jakobs weiter: „Menschen mögen streiten. Aber geboren sind wir, um uns zu vereinen.“ Guido Berg

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