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HEYES Woche: Politische Artisten

Immer wieder zwicke ich mich derzeit selbst, um zu prüfen, ob ich träume. Die politischen Nachrichten berichten von Positionswechseln in rasantem Tempo; eine unglaubliche Kehrtwende jagt die nächste.

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Immer wieder zwicke ich mich derzeit selbst, um zu prüfen, ob ich träume. Die politischen Nachrichten berichten von Positionswechseln in rasantem Tempo; eine unglaubliche Kehrtwende jagt die nächste. Scheinbar gesicherte Annahmen über Parteiprogramme welken in diesem Frühling dahin wie Tulpen ohne Wasser. Artistisch werden Pirouetten gedreht und Standpunkte gekündigt. Wie in Berlin, so in Stuttgart. Da, schon wieder! Habe ich richtig gehört? Die Umfallschnelligkeit steigt im gleichen Maße wie meine Bereitschaft sinkt zu glauben, was mir da an neuen Überzeugungen angeboten wird. Selbstverständlich hat dies alles nichts damit zu tun, das Wahlvolk im Südwesten der Republik zu beeindrucken, bei Brüderle – wer denkt denn so was? Wahlkämpfe werden um Themen geführt. In Baden-Württemberg zum Beispiel soll doch die Wahl eine Abstimmung sein zu Stuttgart 21 und den Milliardendeal der Landesregierung zur Einverleibung von vier Atomkraftwerken in das Landesvermögen.

Staunend habe ich auch die Wahlberichterstattung aus Sachsen-Anhalt verfolgt. Überschäumende Freude beim Wahlsieger. Ist doch wirklich ein großer Erfolg, wenn viele auf den Gang an die Wahlurnen verzichten. Von rund zwei Millionen Wahlberechtigten übte sich die knappe Hälfte in Wahlenthaltung. Wie repräsentativ ist ein Drittel von der Hälfte? Gut, 300 000 Wähler stimmten für die CDU, und den Rest teilen sich Rot-Rot, Grüne, NPD und Sonstige. Kein Wort zum Thema Wahlmüdigkeit in den üblichen Plauderrunden, dafür aber großes Aufatmen, dass es die NPD nicht in den Landtag geschafft hat. Dass die NPD dennoch zufrieden war – es fehlten ja nur 5000 Stimmen zum Einzug ins Parlament – hatte wohl auch damit zu tun, dass Jungwähler in Scharen nach Rechts gewandert sind. Landesweit haben vor allem Männer im Alter von 18 bis 24 Jahren rechts gewählt.

Auch da ein erstaunliches Maß an Realitätsverweigerung in der medialen und politischen Landschaft. Kein Wort zur Jugendpartei der neuen Nazis. Dafür viele Worte darum, wie schnell es zur Erneuerung der großen Koalition in Magdeburg kommen werde. Die überforderten Beobachter werden sicher noch drauf kommen, dass es sich bei einer CDU/SPD Koalition im Nachbarland um die Kleine handelt, für die Große Koalition bräuchte es schon „Die Linke“. Die waren nämlich zweiter Sieger. Aber wie gesagt, eitel Freude in den Reihen der verschlankten Union. Und nun Spannung pur auch an diesem Wochenende. Hoffentlich sind nur politische Erdbeben zu erwarten.

Uwe-Karsten Heye schreibt an dieser Stelle regelmäßig für die PNN. Unser Autor war Redenschreiber bei Willy Brandt und Regierungssprecher von Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder. Heute lebt Heye mit seiner Familie in Babelsberg und arbeitet dort als Autor und Publizist.

Uwe-Karsten Heye

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