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Landeshauptstadt: „Potsdam existierte nur im Unterbewusstsein“

Die Jüdin Helga Rector kam gestern zurück in ihre Heimat, die ihr keine war

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Die Jüdin Helga Rector kam gestern zurück in ihre Heimat, die ihr keine war „Ich bin noch nicht ganz da, ich erlebe Potsdam wie im Traum.“ Die Jüdin Helga Rector, geb. Kallmannsohn begegnete ihrer Geburtstadt gestern zum ersten Mal wieder – nach 65 Jahren. Sie habe aber mit Potsdam keine sehnsuchtsvolle Erinnerung verbunden, die Bilder ihrer Kindheit seien auf Schwarzweiß-Fotografien, nicht aber in ihrem Kopf festgehalten. „Deutschland existierte lange Zeit nur in meinem Unterbewusstsein.“ Gestern nun trat sie in Begleitung von Oberbürgermeister Jann Jakobs die Reise in die Vergangenheit an, wollte den Stadtkanal und den Wilhelmplatz (heute: Platz der Einheit) wiedersehen. Die Eltern Kallmannsohn betrieben vor dem Krieg hier ein Geschäft für Herren- und Arbeitsbekleidung in der Schwertfegerstraße, dort wo heute die Fachhochschule steht. Einen Tag vor der Pogromnacht im November 1938 hatte ein SA-Mann die Familie gewarnt. „Mein Vater war aber stur“, erzählt die alte Dame. Er wurde verhaftet und zunächst ins KZ Sachsenhausen gebracht. Zu dieser Zeit konnten Juden Deutschland noch verlassen, wenn sie ein so genanntes Vorzeige-Visum hatten. Das erkaufte sich Mutter Kallmannsohn und konnte ihren Mann damit aus dem Gefängnis holen. Das Visum für Bolivien galt allerdings nur für zwei Personen und den zweijährigen Bruder. Die zehnjährige Helga musste zunächst in Europa bleiben, durchlief im Frühjahr 1939 mehrere Kinderheime in Frankreich und als auch das zu heikel wurde, kam sie schließlich „dank der Hilfe einer jüdisch-russischen Untergrundbewegung“ in die Schweiz und dann 1946 nach Bolivien. Dort lernte sie später auch ihren zwanzig Jahre älteren Mann kennen, der ebenfalls deutscher Jude war. Als Berlin Mitte der 70er Jahre seine im Exil befindlichen ehemaligen jüdischen Mitbürger einlud, war das Ehepaar Rector auch dabei. Schon damals hätte sie versucht, nach Potsdam zu kommen, erhielt aber kurzfristig keine Einreisegenehmigung in die DDR. Gleich nach der Wende – inzwischen lebte das Ehepaar im Taunus – unternahm Helga Rector einen Tagesausflug in ihre Geburtsstadt. „Das ging zu schnell – einmal Sanssouci und zurück“, erinnert sie sich. Jetzt, nachdem ihr Mann nach schwerer Krankheit fast 94-jährig verstarb, organsierten ein Freund der Familie, Ernesto Gelfert, für sie die Reise nach Potsdam. Heimatgefühle habe sie hier keine, sagt die 76-Jährige, „Heimat, das sind Orte, wo ich nicht verfolgt wurde.“ Trotzdem ist die alte Dame versöhnt und versprach: „Ich komme wieder.“ N. Klusemann

N. Klusemann

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