Landeshauptstadt: Potsdam in 2020 Metern Höhe
Sie ist 75 Jahre alt, liegt in den österreichischen Alpen und gehört dem Alpenverein Dinkelsbühl: Die Potsdamer Hütte
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Zwischen gewichtiger Gebirgsliteratur eingeklemmt steht auf dem Bücherregal neben dem gekreuzigten Heiland ein dicker Bildband über Potsdam. Unerwartete Lektüre in 2020 Metern Höhe.
Inmitten sattgrüner Weidehänge und schroffer Felswände liegt die „Potsdamer Hütte“ – alpine Dependance der brandenburgischen Landeshauptstadt. Auf einem kleinen Plateau am Ende des Tiroler Fotschertals wurde die Herberge für Wanderer vor genau 75 Jahren im Auftrag des Deutschen Alpenvereins Sektion Potsdam erbaut, geriet dann aber nach Krieg und Mauerbau im entfernten Brandenburg in Vergessenheit. Bis vor ein paar Monaten, als der inzwischen wiederbelebte Potsdamer Alpenverein an seine Gründung vor hundert Jahren erinnerte.
Auf der über 700 Kilometer langen Wegstrecke vom Potsdamer Rathaus bis zur Potsdamer Berghütte verliert sich jeder Gedanke an aktuelle Verwaltungsquerelen um Bauamt und Battis-Bericht. Dennoch blieben am vergangenen Wochenende die meisten geladenen Honoratioren zu Hause an der Havel. Von der ursprünglich zum 75-jährigen Hütten-Jubiläum zusammengestellten Delegation aus Oberbürgermeister, Dezernatsleitern und Fraktionschefs blieb am Ende nur die Beigeordnete Elona Müller – begleitet von der Vorsitzenden des Potsdamer Alpenvereins, Karin Plötner, und ein paar Wanderfreunden.
Der Festakt am Samstag begann mit Gottes Segen. Der katholische Pfarrer aus Sellrain hatte sich von Hüttenwirt Manfred Schaffenrath vom Tal abholen lassen. Ein paar Bierzeltbänke wurden vor einem zum Altar umfunktionierten Tisch unter freiem Himmel aufgestellt. Ein Bläserquintett spielte Kirchenlieder. Die mikrophon-verstärkte Stimme des Kirchenmannes mahnte an, Gott nicht mit der Natur zu verwechseln, als Hagelkörner aus den tief hängenden dunkelgrauen Wolken auf die kleine Gemeinde niederprasselten. Daraufhin rasselte der Pfarrer Predigt und Schlussgebet herunter. Schließlich wollte er in der schützenden Herberge noch mit einem „Glaserl Schnaps“ anstoßen. Obstler und Marillenbrand flossen ohnehin an diesem Jubiläumstag in Strömen, was auch die zünftigen Musikanten mit Akkordeon, Gitarre und Waschbrett zu schnellem Schrammeln animierte.
Ehrengast der Feier war Hannes Zöttl, der als Sohn des ersten Wirtpaares Katharina und Johann Zöttl 1934 in der Berghütte zur Welt kam und hier seine Kindheit verbrachte. „Die Sektion Potsdam war meine Taufpatin“, erzählt er. Mehrmals im Jahr steige er zu seiner Geburtsstätte auf. „Ich bin hier zu Hause“, sagt der Österreicher. Als er geboren wurde habe es keinen Strom, sondern nur Petroleumlampen und Holz zum Heizen und Kochen gegeben, sagt Hannes Zöttl.
Inzwischen ist der Bau für Hochgebirgsverhältnisse luxuriös ausgestattet. Neben einem Matratzenlager mit 38 Plätzen verfügt die Hütte über Zwei-, Drei- und Vierbettzimmer mit insgesamt 18 Plätzen. Außerdem gibt Sanitäranlagen, Waschräume und sogar eine Dusche. In der Hüttenküche zaubert Bärbel Schaffenrath, die Frau des Hüttenwirts, Stärkendes wie Speckknödel mit Kraut oder Nudelsuppe mit Würstl.
Dass die Potsdamer Hütte die vielen Jahrzehnte überdauert hat, verdanken die Potsdamer den Dinkelsbühlern. Die Alpenvereins-Sektion der 12 000 Einwohner zählenden Kreisstadt in Franken hatte die Berghütte Mitte der 50er Jahre von Österreich zurückerworben und unterhält sie bis heute. Die Einnahmen aus den Übernachtungen – in guten Jahren bis zu 3000 an der Zahl – muss der Pächter an den Alpenverein abgeben. Der Hüttenwirt lebe vom Verkauf der Speisen und Getränke, sagt Manfred Kiesel, Verwaltungsoberamtsrat in Dinkelsbühl und Mitglied im Alpenverein. Den Kontakt nach Bayern hatte Karin Plötner aufgenommen, nachdem sie vor vier Jahren den Vorsitz im Potsdamer Alpenverein übernahm. Dank ihres Engagements hätten die beiden Sektionen überhaupt zueinander gefunden, sagte eines ihrer Vereinsmitglieder. Es sei keine Selbstverständlichkeit, dass Alpenvereine aus Ost und West sich annäherten, sagt Karin Plötner. Ihr selbst seien Beispiele bekannt, wo es ein mächtiges Gerangel um die Hütten gebe. Deshalb sei sie dankbar, dass die fränkische Sektion nicht auf eine Namensänderung in Dinkelsbühler Hütte bestehe.
Um das Potsdamerische inmitten der Alpen noch zu unterstreichen, hatte die zur stellvertretenden Oberbürgermeisterin auserkorene Elona Müller Bier vom Forsthaus Templin, Obstbrand aus dem Krongut Bornstedt und auch eine Potsdam-Fahne mitgebracht. Das gelb-rote Stoffstück wurde am Samstag feierlich an die Außenwand der Berghütte angebracht. Die Fahne halte bei den rauhen Witterungsverhältnissen in über 2000 Metern Höhe nur eine Saison, sagt Potsdams Vereinsvorsitzende. „Auch ein guter Grund wiederzukommen“, meint die wanderbegeisterte Beigeordnete.
Nicola Klusemann
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