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Parteilose Aubel deklassiert die SPD: Potsdam wählt den Neustart – überraschend deutlich
Noosha Aubel gewinnt die erste Runde der Potsdamer Oberbürgermeisterwahl haushoch. Die 35-jährige Ära der Sozialdemokraten an der Stadtspitze scheint beendet. Das hat gute Gründe.

Stand:
Die Favoritin macht das Rennen – und wie: Mit einem überragenden und überraschend klaren Vorsprung von 17 Prozentpunkten schicken die Potsdamer nach einem sachlichen, fast langweiligen Wahlkampf die parteilose, links-grüne Kandidatin Noosha Aubel in die Stichwahl um das Amt der Oberbürgermeisterin oder des Oberbürgermeisters.
Die SPD in der Brandenburger Landeshauptstadt entgeht damit nur knapp einem Debakel. Mit hauchdünner Mehrheit von 340 Stimmen vor dem CDU-Konkurrenten Clemens Viehrig rettet sich Berlin-Import Severin Fischer in die zweite Wahlrunde. Dass er mit 13.390 Wählerstimmen nur die Hälfte der Stimmen bekommt, die an Aubel gehen, ist für die SPD im einst roten Potsdam dramatisch.
Bei der Stichwahl in drei Wochen entscheidet sich endgültig, ob die Stadt sich tatsächlich von der sozialdemokratischen Prägung der vergangenen mehr als drei Jahrzehnte lossagt und mit der parteilosen Aubel links-grünere Politik wagt. Dass das Vertrauen dann doch der etablierten SPD und dem erfahrenen, aber eher blassen Sozi Fischer zufällt, scheint eher eine theoretische Option.
Allerdings werden die Sozialdemokraten versuchen, vor allem mit der CDU ein Bündnis für ihren Kandidaten zu schmieden. Einflussreiche Christdemokraten schließen das wiederum schon am Wahlabend aus.
Ihr Slogan „Meine Partei ist Potsdam“ verfing.
PNN-Chefredakteurin Sabine Schicketanz über den Wahlerfolg der parteilosen Kandidatin Aubel
Dass Aubel, die von den Grünen, der Wählergruppe Die Andere, Volt und dem BSW-Ableger BfW unterstützt wird, sich derart deutlich an die Spitze setzt, hatten wohl wenige erwartet. Doch sie spielte ihre Vorteile geschickt aus.
Entscheidend für ihren Erfolg ist, dass sie Potsdam und seine Verwaltung kennt, zahlreiche glaubwürdige Fürsprecher in der Stadt hat und im Kanon der sechs Männer, die sich ums Amt bewarben, erfrischend wirkte. Für manche und manchen ist offenkundig auch das Ziel, endlich eine Frau an der Stadtspitze zu sehen.
Aubel profitiert von der besonders auf kommunaler Ebene immer stärker ausgeprägten Abkehr von den etablierten Parteien. Ihr Slogan „Meine Partei ist Potsdam“ verfing. Die gebürtige Hannoveranerin bedient die in Potsdam traditionell große linke Wählerschaft. Dass sie nicht davor zurückschreckte, sich vom lokalen BSW unterstützen zu lassen und selbst die Grünen dieses Bündnis mit den Russlandfreunden in Kauf nahmen, sicherte Aubel Stimmen in den Plattenbauten im Potsdamer Süden.
Warum will ein Berliner plötzlich Potsdam regieren?
Der von den Linken aufgestellte parteilose Dirk Harder, der im selben Teich fischte wie Aubel, schnitt mit 16 Prozentpunkten überraschend stark ab. Wenn Harder in der zweiten Runde Aubel zur Wahl empfiehlt, könnte ihr das den endgültigen Erfolg sichern.

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Die SPD hat sich ihr schwaches Ergebnis selbst zuzuschreiben. Zunächst wirkt die Abwahl des SPD-Amtsinhabers Mike Schubert weiter nach. Genauso stark fällt ins Gewicht, dass die Sozialdemokraten keinen Potsdamer, ja nicht einmal einen Brandenburger Kandidaten fürs Amt aufbieten konnten – oder besser noch: eine Potsdamerin oder Brandenburgerin.
Stattdessen soll es Fischer richten, der sicher die Qualifikation mitbringt, Potsdam solide und verlässlich zu führen. Doch ihm fehlt das belastbare, glaubwürdige Motiv: So leuchtete auch vielen SPD-Wählern nicht ein, warum einer aus Berlin, der Potsdam nicht kennt, plötzlich hier regieren will. Der Wahlkampf der Sozis blieb denn auch halbherzig, die Landes-SPD nahezu unsichtbar. Fischer konnte einem fast leidtun.
Dass er trotzdem in der Stichwahl gelandet ist, verdankt er der allen Turbulenzen zum Trotz verbliebenen SPD-Anhängerschaft und seinem konservativen Profil. Er hat sich geschickt als Kandidat der bürgerlichen Mitte präsentiert und somit mehr Kontrast zu Aubel aufgebaut, als zu erwarten war. Doch für Brandenburgs SPD wird diese Wahl und der mehr als wahrscheinliche Verlust der Landeshauptstadt nicht ohne Folgen bleiben.
Für die CDU ist die knappe Niederlage bitter
Stimmen gekostet hat Fischer auch der nahbare, authentische Auftritt des CDU-Kandidaten und ehemaligen Bundeswehr-Offiziers Clemens Viehrig. Für ihn ist die knappe Niederlage gegen Fischer bitter, aber nicht unbegründet. Viehrig hat sich inhaltlich kaum von Fischer abgesetzt.
Das Abschneiden von AfD-Kandidat Chaled-Uwe Said auf Platz 5 zeigt: Die AfD hat trotz des Hochs in den Meinungsumfragen keine Chance auf einen verantwortungsvollen Posten in der Landeshauptstadt. Doch Said holt mehr Stimmen, als der linken und bürgerlichen Stadtgesellschaft lieb sein kann. Das ist ein Warnsignal.
Dass die Wahlbeteiligung trotz monatelangem Wahlkampf – erst um die Abwahl, jetzt zur Neuwahl – bei 55,5 Prozent blieb, ist kein gutes Zeichen. Für viele ist die Stadtspitze entweder nicht wichtig, oder sie haben Vertrauen in die Politik verloren.
Bei der Stichwahl am 12. Oktober wird die Wahlbeteiligung erfahrungsgemäß noch geringer ausfallen. Umso entscheidender ist die Mobilisierung. Der deutliche Sieg im ersten Durchgang könnte Aubel so auf den letzten Metern noch gefährlich werden, wenn der Eindruck entsteht, die Entscheidung sei schon gefallen. Der Potsdamer SPD bleibt wenig mehr als diese Hoffnung.
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