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Ein Rückblick: Potsdam 1994: Potsdamer Lektionen

Schon einmal scheiterte ein Potsdamer Oberbürgermeister mit einer Beigeordnetenwahl. An sich und am Stadtparlament. Eine – auch persönliche – Erinnerung an einen denkwürdigen Tag im April 1994.

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Er hat es miterlebt, wie seinem Vorvorgänger im Amt ein ähnliches Waterloo widerfuhr, oder er es sich selbst einbrockte, wie man’s nimmt. Ja, Jann Jakobs, inzwischen seit 2002 selbst Potsdams Oberbürgermeister, war schon im „Magistrat“ der Stadt Potsdam beschäftigt, als es passierte. Vor 22 Jahren. Es war der 13. April 1994, jener Tag, an dem Potsdams Stadtparlament zum ersten Mal seinen Ruf begründete, besonders unberechenbar zu sein, was sich fortan regelmäßig bestätigte.

Fast ein Jahr hatte Jakobs, damals 40, ein Frischling, mit Elan aus Spandau nach Potsdam gekommen, nun schon als neuer Jugendamtsleiter durchgehalten. Und das, obwohl vor ihm schon viele Aufbauhelfer scheiterten, im Rathaus sogar Wetten abgeschlossen worden waren, dass auch er „keine drei Monate“ schaffen würde. Er war ein Amtsleiter von vielen, eher ein kleines Licht. Und doch waren die Geschehnisse jener Zeit für ihn, wie er später mal bekannte, Lehrstunden der Potsdamer Lokalpolitik.

Es stand eine mit Spannung erwartete Abstimmung an

Es sollte ein denkwürdiger Abend für alle werden, die am 13. April 1994 dabei waren. Auch für mich, damals als Rathaus-Reporter für den Tagesspiegel vor Ort. In der Stadtverordnetenversammlung stand eine mit Spannung erwartete Abstimmung an. Potsdams erster Nachwende-Oberbürgermeister, Horst Gramlich (SPD), wollte seine Beigeordneten-Mannschaft für die nächsten acht Jahre wählen lassen. Vorangegangen waren turbulente, ja dramatische Monate. Er selbst war gerade wiedergewählt worden, hatte sich im Dezember 1993 mit Ach und Krach im Amt behauptet, erst in einer dramatischen Stichwahl mit 54,7 Prozent gegen den damaligen PDS-Chef Rolf Kutzmutz durchgesetzt. Im ersten Wahlgang hatte Kutzmutz noch mit 45,3 Prozent, mit 10 000 Stimmen vor Gramlich mit 29,3 Prozent gelegen. Und seit der Kommunalwahl im Tausendjahrfeierjahr 1993 stellte die PDS, die mit 38 Prozent vor der SPD mit 32 Prozent gewonnen hatte, die stärkste Fraktion. Im Parlament wurden die SED-Nachfolger aber zumeist geschnitten. Die Vorwendewunden waren noch frisch.

Eine Rathauskoalition existierte nicht, keine formale. Gramlich versuchte in dieser Zeit irgendwie klarzukommen, Mehrheiten möglichst ohne PDS-Stimmen zu finden. Das war auch die Linie des damaligen SPD-Chefs, der hieß Rainer Speer und war Staatssekretär bei Umweltminister Matthias Platzeck Das alles prägte die Gemengelage, als Gramlich seine fünf Kandidaten präsentierte, ins Rennen schickte, die er aus 150 Bewerbern nach einer bundesweiten Ausschreibung auserkoren hatte. Das Niveau sei eher schwach gewesen, hieß es damals. Und bis auf den Baustadtrat Detlef Kaminski (SPD), der einzige Ostdeutsche in der Mannschaft, waren es alles Neue, wie etwa die Hamburgerin Inge Cobus-Schwertner, dort bei der Sozialbehörde tätig. Und alle waren in der SPD. Aber das mit der SPD sei Zufall gewesen, hatte Gramlich im Vorfeld erklärt.

Alle Kandidaten von Gramlich scheiterten

Es konnte also zumindest eng werden. So stand es vorher in den Zeitungen, PDS, CDU, FDP und Bündnis 90/Grüne hatten Bedenken geäußert, nie gegen die ganze Mannschaft, jeder gegenüber einzelnen Kandidaten. Es grummelte auch wegen der „SPD- und Westlastigkeit“. Auf der anderen Seite hatte die PDS intern signalisiert, dass sie wohl Kaminski und Cobus-Schwertner mitwählen würde. Und so hatten Gramlich selbst, Speer, Kaminski noch während der Stadtverordnetenversammlung bis zuletzt felsenfest damit gerechnet, dass es irgendwie schon klappen werde.

Tja, und dann wurde plötzlich das Endergebnis der Auszählung verkündet. Gramlichs Kandidaten waren gescheitert, nicht einer, nicht zwei, sondern alle fünf. Wie bereits im ersten Wahlgang vorher. Zwei Wunsch-Stadträte hatten nicht einmal alle Stimmen der SPD erhalten, deren Fraktionschef in seiner Rede vor der Abstimmung dazu aufgerufen hatte, die Beigeordneten bitte „zu tolerieren“.

Gramlich verbarrikadierte sich mit seinen Ex-Kandidaten in seinem Büro

Was sich unmittelbar danach abspielte, hat Peter von Feldmann, Stadtrat für Stadtentwicklung von 1991 bis 1994 im Magistrat, vorher und danach wieder Verwaltungsrichter in Berlin, in seinem persönlichen Potsdamer Tagebuch „Nachwendezeit“ treffend beschrieben: „Die Bekanntgabe des Wahlergebnisses haut rein wie eine Bombe, auch bei mir. Ein beträchtlicher Denkzettel wäre ganz gut gewesen, aber dass nun überhaupt keiner gewählt wird, ist eine Katastrophe“, notierte er. „Der Fraktionsvorsitzende der CDU, Ziebarth, erhebt sich und verlangt Gramlichs Rücktritt. Man wartet darauf, dass sich der SPD-Fraktionsvorsitzende oder Gramlich dazu äußert. Der erhebt sich aber nur schwerfällig aus seinem Sitz und will dazu keinen Kommentar abgeben. Nun folgt etwas, was in keinem Theaterstück besser die Situation beleuchten könnte: Die Fraktion begibt sich nahezu geschlossen in das Magistratssitzungszimmer, Gramlich geht in sein Dienstzimmer, zusammen mit den gescheiterten Beigeordneten und seinem Bürostab.“ Einige Meter Entfernung nur, in diesen Momenten politisch-emotionale Lichtjahre.

Ja, genau so war es, Horst Gramlich war fertig mit seinen Genossen und der Potsdamer Welt, und mit sich wohl auch. Er verbarrikadierte sich erst mal mit seinen Ex-Kandidaten und einer kleinen Runde in seinem Büro. Und da saßen sie, er am Schreibtisch, in einer mit Worten kaum beschreibbaren Stimmung, bei viel Wein und Bier und noch mehr Sarkasmus. Er konnte einem leidtun. Und er war kurz davor. Ihm reiche es, er werfe hin, sagte Gramlich irgendwann. Und die anderen redeten auf ihn ein, dass er das um Himmels willen nicht machen könne, wegen der PDS und so.

Alle fürchteten Schlimmes für die Stadt 

Ja, wirklich, so war es. Es muss schon nach Mitternacht gewesen sein, als mein Kollege Volkmar Klein von der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ und ich, als wir nach der Abstimmung den Nachstimmungen auf der Spur waren, dazugestoßen waren. Aber Horst Gramlich, dessen Verhältnis zu Journalisten zu dieser Zeit schon nicht spannungsfrei war, war in diesen Stunden selbst das egal. Und alle fürchteten Schlimmes für diese Stadt, in den Tagen, Wochen und Jahren danach, auch die Reporter. Niemand konnte sich vorstellen, oder ahnte, wie schnell im besonderen Potsdamer Klima lokalpolitische Stürme und Gewitter auch wieder abziehen können. Noch so etwas, das sich fortan häufiger bestätigte.

Schon wenige Monate später also, am 1. Juni 1994, sollte Gramlich seine Riege durchbekommen, außer Kaminski waren alles andere Kandidaten. Freilich, diesmal mit ein paar Gesprächen mehr vorher, vor allem aber mit dem Kulturbeigeordneten Claus Dobberke (parteilos), den die PDS stellen durfte. Und siehe da, da prophezeite dann ein gewisser PDS-Stadtverordneter Hans-Jürgen Scharfenberg – nein, ewiger Chef wurde er erst später – den Journalisten schon vor der Abstimmung: „Die gehen diesmal durch wie das Messer durch die Butter.“ Gingen sie.

Der Tagesspiegel-Reporter machte eine befreiende Erfahrung

Aber das alles konnte in dieser Nacht vom 13. zum 14. April 1994 noch niemand ahnen. Einer Nacht, die für Gramlich, der vier Jahre später abgewählt wurde, vielleicht dennoch so etwas wie ein erster Anfang vom Ende wurde. Es war 2, vielleicht 3 Uhr am Morgen, als sich die Katerrunde im Dienstzimmer des Oberbürgermeisters auflöste, alle loszogen, weil ein paar Stunden später ja die Pflichten wieder riefen.

Nur der Tagesspiegel-Reporter hatte dummerweise etwas an der Garderobe vergessen, im Vorraum, musste deshalb noch einmal kurz zurück, die Treppe wieder hoch. Aber als auch ich dann, ein paar Minuten später nur, auch rauswollte, waren die Rathaustüren zugeschlossen. Die Herren hatten mich versehentlich eingesperrt. Und dann? Ich erinnere mich, wie ich durch dunkle Flure und Gänge in diesem verwinkelten Katakombenbau herumirrte, um irgendwo eine offene Tür oder ein offenes Fenster zu finden. Tatsächlich habe ich just in jener Nacht zum 14. April 1994, in der ein Oberbürgermeister im Stadtparlament bei einer Abstimmung einen dramatischen Einbruch erlebte und durchlitt, eine befreiende Erfahrung gemacht. Nämlich die, dass man aus dem Potsdamer Rathaus auch ausbrechen kann.

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