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Landeshauptstadt: Potsdamer Mission im Orbit

Das Erdmagnetfeld schwächelt: Drei Satelliten sollen helfen, die Ursache zu finden. Morgen ist Start des GFZ-Projekts

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Ohne das Magnetfeld gäbe es kein Leben auf der Erde. Zumindest keine höher entwickelten Pflanzen, Tiere und uns Menschen. Der unsichtbare Schild, der weit über den Planeten hinausragt, schützt vor kosmischer Strahlung und geladenen Teilchen, die die Sonne herausschleudert. Erst durch ihn konnte eine stabile Atmosphäre entstehen, in der sich das Leben entfaltet. Doch der Schild wird schwächer, in den vergangenen 150 Jahren um rund 15 Prozent. Was die Ursachen sind und welche Folgen das für die Zivilisation hat, sind die größten Fragen der Geophysiker.

Antworten sollen drei „SWARM“-Satelliten geben, die am Freitagmittag punkt 13.02 Uhr mitteleuropäischer Zeit mit einer russischen Rakete ins All fliegen sollen. Sie werden das Erdmagnetfeld präzise vermessen und dabei nicht nur räumliche Unterschiede erfassen, sondern auch zeitliche Schwankungen. Das GFZ Potsdam ist an dieser Mission in leitender Funktion beteiligt. Zudem sind die SWARM-Satelliten direkte Nachfolger des GFZ-Satelliten CHAMP. Neben grundlegenden Erkenntnissen zum Erdmagnetfeld erhoffen sich die Forscher von der neuen Mission Informationen, die eine Art „Weltraumwetter-Vorhersage“ ermöglichen sowie Hinweise auf Rohstofflagerstätten.

Das Erdmagnetfeld schützt die Menschen nicht nur, es hilft auch bei der Orientierung. Bereits vor 2000 Jahren wurde in China der Kompass benutzt. Seine Nadel weist in Richtung Norden. Das Instrument ist in hohen Breiten aber zunehmend ungenau, denn der geografische und der magnetische Pol sind nicht identisch. Letzterer befindet sich bei Kanada und wandert Richtung Sibirien. Und das immer schneller, zuletzt mit 65 Kilometern pro Jahr. Die Ursache dafür liegt offenbar in den gewaltigen Strömen flüssigen Eisens, die 3000 Kilometer unter unseren Füßen im äußeren Erdkern zirkulieren. Sie erzeugen wie Fahrraddynamos einzelne Magnetfelder, die zusammengenommen das Erdmagnetfeld bilden. Ändern sich die Ströme im Erdkern, sollten sich auch die Stärke und die Ausrichtung des Magnetfelds an der Oberfläche ändern.

Ob diese Vermutung stimmt, wollen die Forscher mithilfe der drei Satelliten herausfinden. Dazu entwickeln sie Modelle, die die Vorgänge im Erdinneren abbilden, und vergleichen dann das simulierte Magnetfeld mit den realen Messwerten. Besonderes Augenmerk liegt auf der „südatlantischen Anomalie“ (siehe Grafik). Dort hat die Stärke des Magnetfeldes in den letzten 30 Jahren um zwölf Prozent abgenommen. Möglicherweise, so spekulieren manche Forscher, hat sich in großer Tiefe ein „Antidynamo“ gebildet und läutet eine erneute Polumkehr ein.

„Das wird, sofern es tatsächlich so weit ist, noch einige Jahrhunderte dauern“, sagt Hermann Lühr vom Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) und Chefwissenschaftler bei Swarm. Dennoch sei die Anomalie schon heute wichtig, denn in größerer Höhe ist der Schutzschild spürbar schwächer. „Die Astronauten der Raumstation, die 400 Kilometer über der Erde kreist, bekommen in dieser Gegend 100 Mal mehr kosmische Strahlung ab als über Europa.“ Aber die eindringende Strahlung schadet nicht nur Raumfahrern, sie kann die Kommunikation von Satelliten stören und die Apparate sogar beschädigen. „Die Industrie möchte wissen, um wie viel robuster sie die Geräte bauen muss, damit sie auch in 10 oder 20 Jahren funktionieren“, erläutert Lühr. Dazu benötige sie Prognosen zur künftigen Stärke des Magnetfeldes über dem Südatlantik – und die soll Swarm liefern.

Die Änderungen des Feldes gehen nicht nur auf die Strömungen im Erdkern zurück. In geringerem Maße sind auch die Ozeane beteiligt. Das salzige Wasser ist elektrisch leitend: Wird es bewegt, entsteht ein schwaches Magnetfeld. Aus den Daten der Vorgängermission „Champ“ konnten die Geophysiker die Gezeitenströme rekonstruieren. Swarm, konzipiert für eine Flugzeit von mindestens vier Jahren, soll viel präziser arbeiten. Nun könnte es gelingen, auch Meeresströmungen zu erfassen. Deren Stärke wird bisher vor allem aus Messungen an der Oberfläche abgeleitet, was relativ ungenau ist. Mit Swarm können die Forscher gewissermaßen bis zum Meeresgrund schauen. Allerdings ist noch nicht klar, wie „scharf“ dieser Blick sein wird und ob er kleinere Strömungen wirklich erkennt.

Das gilt auch für die Erkundung von Rohstofflagerstätten. Gesteine und Erze haben ebenfalls typische magnetische Eigenschaften, die von empfindlichen Messgeräten erfasst werden. Da zwei der drei Satelliten in dichtem Abstand von 150 Kilometern um die Erde fliegen, ermöglichen sie einen Stereoblick auf die Erdkruste und können zumindest größere Auffälligkeiten aufspüren. „Künftige Minenstandorte lassen sich damit nicht ausmachen“, sagt Lühr. „Aber Gegenden, in denen es sich für Rohstoffsucher lohnt, genauer hinzuschauen.“

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