Homepage: „Prävention schon vor der Geburt“
Prof. Christiane Ludwig-Körner von der FH-Potsdam über Kinderschutz und Hilfe für Problemfamilien
Stand:
Beinahe täglich werden in jüngster Zeit Fälle schwerer Kindesvernachlässigung bekannt. Hat dieses Problem zugenommen? Oder wird es jetzt öffentlich stärker wahrgenommen?
Die Sicht darauf hat sich verändert. Früher haben die Medien solche Fälle nicht gemeldet. Es gab weniger Anzeigen, weniger öffentliche Diskussion. Auch hatte man bislang mehr Geduld mit den Eltern, leider oft auf Kosten der Kinder. Es dauert sehr lange, ehe Eltern das Problem verinnerlichen und ihr Verhalten ändern können. Da ist es nicht leicht die Balance zu finden zwischen einer realen Chance für die Eltern und dem Recht der Kinder.
Wo sehen Sie die häufigste Ursache für Vernachlässigung und Misshandlung?
Eltern, die sich nicht um ihre Kinder kümmern oder sie schlagen, sind in ihrer Kindheit selbst Opfer von Vernachlässigung und Gewalt geworden. Sie haben deshalb keine positiven Erfahrungen und keine angeborene Intuition für gutes „Beeltern“. Oft bereits über Generationen nicht.
Merken diese Mütter und Väter nicht, dass sie etwas falsch machen? Sie müssen doch die Kritik im sozialen Umfeld registrieren?
Sie kriegen schon mit, dass sie etwas falsch machen, können es aber nicht ändern. Wenn der Druck zu groß wird, dann ziehen sie um oder wechseln den Kinderarzt. Hier genauer hinzuschauen, bedeutet nicht Schnüffelei. Und auch der Datenschutz darf dann nicht über dem Kindeswohl stehen. Man muss mit qualifiziertem Personal direkt in die betroffenen Familien gehen und ihre Erziehungsfähigkeit fördern. Nicht selten brauchen die Eltern eine Psychotherapie, um ihre eigene Vernachlässigung zu erkennen und ein anderes Verhalten zu erlernen.
Wie aber kommt man an sie heran?
Ein Weg sind verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen. Ich befürworte auch die Idee, die U-Untersuchungen an die Zahlung des Kindergeldes zu koppeln und notfalls das Jugendamt einzuschalten. Das reicht aber nicht aus, weil nicht alle Kinderärzte den psychologischen Blick auf eine möglicherweise gestörte Interaktion von Mutter und Kind haben. Manche Pädiater merken das intuitiv sofort, andere gar nicht. Ideal wäre deshalb ein Modell, wie es beispielsweise in Finnland praktiziert wird, wo Ärzte, Psychologen und Erziehungsberater direkt und in einer Institution zusammenarbeiten.
Ähnliche Strukturen gab es mit der Mütterberatung im Osten Deutschlands
die man hätte erhalten und ausbauen können. Das Modellprojekt „Wie Elternschaft gelingt“, das jetzt in Brandenburg erprobt wird, vernetzt die Jugendhilfe wieder mit dem Gesundheitswesen und setzt bereits vor der Geburt an. Beratungsstellen für Frauen in Schwangerschaftskonflikten, Gynäkologen, Hebammen, Entbindungskliniken und Kinderärzte sollen mit dem Allgemeinen Sozialen Dienst und der Jugendhilfe zusammenarbeiten, um frühzeitig Risiken zu erkennen und vorsorglich zu helfen.
Prävention, bevor das Kind geboren ist?
Ja. Wir können im Gespräch mit Schwangeren bereits erkennen, wie sie mit ihrem Kind umgehen werden. Dazu benötigt man natürlich psychologisch geschultes Personal, das vielerorts fehlt. Leider werden selbst die hier an der Fachhochschule auszubildenden Sozialpädagogen nicht verpflichtet, Entwicklungspsychologie zu studieren. Ein Manko.
Das von Ihnen geleitete Familienzentrum „Vom Säugling zum Kleinkind“ an der FH bietet solch qualifizierte Hilfe an.
Ohne das ehrenamtliche Engagement von Psychologen, Ärzten, Kollegen und Studierenden der FH wäre dies aber nicht möglich. Es ist dringend erforderlich, solche Therapiezentren öffentlich zu fördern. Auch das in einigen Kreisen Brandenburgs initiierte Projekt, jeder Familie einen ehrenamtlichen Paten zur Seite zu stellen, hat seine Grenzen. Sozialpädagogische Einzelfallhilfe braucht hochqualifiziertes Personal. Und das muss ausgebildet und finanziert werden.
Sie sind kürzlich in den wissenschaftlichen Beirat des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen berufen worden. Können Sie dort direkt Einfluss auf solche politisch zu treffenden Entscheidungen nehmen?
Wir sind ein Expertengremium, das die Modellprojekte, die jetzt in den einzelnen Bundesländern anlaufen, diskutiert und Empfehlungen ausspricht. Ich befürchte jedoch, dass unter dem entstandenen öffentlichen Druck in der Politik zu kurz gedacht und entschieden wird. Was wir brauchen, ist ein langfristig stabiles, finanziell abgesichertes Netzwerk aus Beratung, Therapie und Kinderbetreuung. Die besten, qualifiziertesten und stärksten Menschen sollten dafür ausgewählt werden.
Das Gespräch führte Antje Horn-Conrad
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