Landeshauptstadt: „Preußen ist so weit weg wie das Mittelalter“
„Tradition als Politikum?“ Alles halb so wild. Das ist die Essenz einer Debatte, zu der die Garnisonkirchen-Gesellschaft lud
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Er wusste, was er tat. Prof. Martin Sabrow vom Zentrum für Zeithistorische Forschung bezeichnete sich ja selbst als „Bad Guy “, als böser Junge. Auf dem gestrigen Symposium „Potsdam – Tradition als Politikum“ der Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche fragte er listig: Ist es nicht Aufgabe der Geschichtswissenschaft, „bequeme Zuschreibungen zu zerpflücken“ und „sich kritisch mit Deutungsangeboten auseinanderzusetzen“?
Nun denn: Zunächst zertrümmerte Prof. Sabrow die allgemeinen Vorstellungen vom 21. März 1933, dem „Tag von Potsdam“, als „diabolische Rührkomödie“, als „Großtat illusionistischer Großkunst“. Vielmehr war der Händedruck Hitlers und Hindenburgs, heute gern gesehen als Schulterschluss von Nationalsozialismus und Konservatismus, eher ein spontanes und zufälliges als inszeniertes Ereignis (siehe Seite 27).
Kaum hatte Moderator Klaus Wiegrefe (Der Spiegel) den „fulminanten Auftakt“ Prof. Sabrows gelobt, legten die weiteren Referenten nach: Der Militärhistoriker Matthias Rogg bezeichnete die Garnisonkirche zwar als zu den deutschen Erinnerungsorten gehörig. Doch es gebe Militärkirchen in vielen alten Garnisonstädten, die sogar erhalten sind, in Dresden, Anklam und Wilhelmshaven. Die Potsdamer Garnisonkirche – nur eine von vielen? Ja, und eine mit 300-jähriger Tradition, vor der die „Dämonisierung des Ortes“ wegen des 21. März 1933 zurückstehe.
Den dritten Mythos knackte Ekkehard Klausa von der Berliner Gedenkstätte deutscher Widerstand: Zwar waren unter den Verschwörern des 20. Juli 1944 allein 19 Offiziere des Potsdamer Infanterieregiments Nr. 9. Doch ein Widerstandsnest von Anfang an war es nicht. Beachtliche Ausmaße erhielt deren Handlungswille erst „kurz vor der Katastrophe.“ Klausa erinnerte daran, dass Hitler 1936 angeboten worden war, Chef der Infanterieregiments Nr. 9 zu werden – und er dies ablehnte. Er verweigerte sich den Militärs – und nicht umgekehrt. Das lag auch daran, dass nach 1933 durch die Heeresvergrößerung die goldenen Sterne nur so auf die Schultern der Offiziere regneten. Klausa: „Man konnte sich der Beförderung zum General nur durch Selbstmord entziehen.“ Dann war wieder Prof. Sabrow dran: Nahezu lustvoll versenkte er alle Hoffnungen auf eine Existenz preußischer Traditionen, auf ein Preußen, dass irgendwie fassbar ist. Er fragt: Was ist die preußische Essenz? Die Norddeutschen sind es nicht, nicht die Süddeutschen, nicht die Katholiken Wenn man alles Nichtpreußische abzieht, witzelte Sabrow, ist es etwas, „was wir in der Parfümflasche mit uns tragen können“. Preußen, das ist ein Baukasten, aus dem sich jeder bedienen kann, „eine Antwortmaschine“ für alle Fragen. Preußen, so Prof. Sabrow, ist Religionsfreiheit, ist Aufklärung, ist Weltekel (Rückzug nach Sanssouci). Es gebe auch das schöne Preußen mit seinen Bauten, aber auch „das rote Preußen“ des Otto Braun, Preußens SPD-Ministerpräsident in der Weimarer Republik. „Das Preußenbild zerläuft“, so Prof. Sabrow. Und „Preußen ist ein Surrogat.“
Überhaupt Preußen, das ist heute doch „so weit weg wie das Mittelalter“, sprang Rogg kongenial auf den Sabrow-Zug auf. Preußen elektrisiere einfach nicht mehr so wie noch zur Zeit der großen Preußenausstellung von 1981. Rogg: „Preußen reißt die Schüler nicht mehr so vom Hocker.“ „Als Erkennungsmerkmal für politische Gesinnung hat Preußen ausgedient“, ergänzte Prof. Sabrow – und deutet an, wohin die Reise gehen soll: Das Projekt Garnisonkirche werde heute eher im Sinne einer Wiederherstellung der Stadtsilhouette diskutiert, weniger über das Preußenthema. Einem Wiederaufbau, so Sabrow, stehe nichts im Wege, wenn dabei kritische Auseinandersetzung und das Moment der Versöhnung im Mittelpunkt stehen. Er erinnerte daran, dass selbst die DDR die Garnisonkirche nicht nur aus antipreußischem Reflex gesprengt habe, sondern weil sie einer Heiztrasse für die Hochhäuser im Wege stand. Guido Berg
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