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Sportlerehre. Hans Borchert zeigt im Jahnmuseum in Lanz Ausstellungsstücke.

© dpa

Landeshauptstadt: Prignitzdörfchen soll wieder Turner anlocken

Lanz – Geburtsort von Turnvater Friedrich Ludwig Jahn – will die Schatten der Vergangenheit tilgen

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Lanz - Vor dem Zweiten Weltkrieg war das Prignitzdörfchen Lanz direkt an der Elbe in Turnerkreisen ein äußerst bekannter Ort.

Wer als Sportler etwas auf sich hielt, pilgerte einmal in seinem Leben in den Geburtsort von Turnvater Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852). Doch mit der Trennung zwischen Ost und West war es hiermit vorbei. „Lanz verschwand in der DDR buchstäblich von der Turnerlandkarte, weil niemand mehr ohne Passierschein in das Sperrgebiet hereinkam“, berichtet Ortsvorsteher Hans Borchert.

Der Ort lag damals nur vier Kilometer vom Stacheldrahtzaun an der Elbe entfernt. „Der Turnvater galt zwar auch im Arbeiter- und Bauernstaat etwas, doch Turnübungen so direkt an der Grenze waren den Oberen mehr als suspekt“, erinnert sich der 69-Jährige Borchert. Und so war es mit der Tradition schnell vorbei.

Das Leben im Sperrgebiet war nie leicht und mit vielen Repressalien verbunden. „Doch rüber in den Westen zu machen, kam für mich überhaupt nicht in Frage“, sagt Borchert. Dafür hing er zu sehr an seinem Heimatdorf und auch an Friedrich Ludwig Jahn. „Es mag zwar merkwürdig klingen, aber irgendwie musste man ja sein Erbe bewahren“, meint er. Und so wurde für viele Dorfeinwohner Jahn auch zum Zeichen des Widerstands gegen das DDR-Regime. „Wir haben gegen den Willen der Oberen einfach eine Gedenkstätte eröffnet, obwohl wir im Sperrgebiet mit so gut wie keinem Besucher rechnen konnten“, berichtet der Ortsvorsteher.

Diese existiert noch heute in der alten Schule, gleich neben der Kirche, wo Jahns Vater als evangelischer Pfarrer vor fast 200 Jahren tätig war. Vieles, was in Vergessenheit geraten war, wird dort für die Nachwelt bewahrt. Neben Exponaten wie Briefen, Kleidungsstücken und Orden vom Meister werden auch Geschichten rund um den Turnvater gehütet.

Schnell berichtet Borchert davon, wie Jahn auf die wohltuende Wirkung von Leibesübungen kam. So habe er als Jugendlicher auf einer Koppel bei Lanz beobachtet, wie Arbeitspferde herumtollen, wenn sie nach ihrem Tagwerk auf die Weide gebracht wurden. Jahn habe es dann den Tieren gleichgetan. Später hat er zusätzlich auf einer Koppelstange balanciert, so der 69-Jährige.

„Das Geräteturnens hat Jahn erfunden“, bestätigt Illona Kohlberg von der Jahn-Gesellschaft im anhaltinischen Freyburg/Unstrut. Er sei generell sehr auf die Natur geprägt gewesen und hat vieles, was er bei Tieren beobachtet hat, später auf das Turnen übertragen. Nach all den Jahren ist es Borcherts sehnlichster Wunsch, dass Turner aus ganz Deutschland wieder nach Lanz kommen und auf Jahns Spuren wandeln. „Vielleicht können die Turnasse wie Fabian Hambüchen und Philipp Boy bei uns Kraft für die Olympiade in London im kommenden Jahr sammeln, um nach Titeln zu greifen.“ Schon 1936 haben deutsche Turner sich auf die Spiele im Prignitzdörfchen vorbereitet. „Eine eigene Sporthalle und viele sportbegeisterte Menschen haben wir hier.“ Nach mehr als 20 Jahren nach dem Mauerfall sei es an Zeit, dass Jahns Heimat turntechnisch gesehen aus dem Schatten der deutschen Teilung heraustrete.

„Es wäre heute sehr wichtig, wenn sich Spitzensportler auch auf die Wurzeln ihres Sport besinnen würden“, sagt Kohlberg. Zwar engagieren sich ehemalige Topturner wie Eberhard Gienger aktiv in der Jahn-Gesellschaft. „Die jungen und erfolgreichen Turner fehlen schon ein wenig“, so Kohlberg weiter.

Jahn gilt als Begründer der deutschen Turnbewegung. Diese war unter anderem mit dem Ziel entstanden, die Jugend auf den Kampf gegen die napoleonische Besetzung vorzubereiten. Jahn war auch glühender Verfechter eines deutschen Nationalstaats. Der erste öffentliche Turnplatz wurde 1811 in der Berliner Hasenheide eröffnet. Nach den Befreiungskriegen fiel Jahn beim preußischen König wegen seiner Idee eines geeinten Nationalstaates in Ungnade. Turnen war in Preußen von 1819 bis 1842 verboten. Friedrich Wilhelm IV. rehabilitierte Jahn und gab ihm sein „Eisernes Kreuz“ aus den Befreiungskriegen zurück.

Heute zählt der Deutsche Turnerbund (DTB) circa fünf Millionen Mitglieder in rund 20 000 Vereinen. Damit ist der DTB der zweitgrößte Spitzenverband im deutschen Sport.

Georg-Stefan Russew

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