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Wissenschaft in Potsdam: „Promotion ist kein Standardabschluss“

Uni-Präsident Oliver Günther über die Plagiatsfälle an der Universität Potsdam, die Sinnlosigkeit nebenberuflicher Promotionen sowie den Mangel an Sorgfalt und Misstrauen bei den Gutachtern

Stand:

Herr Günther, das Plagiat von Florian Graf ist nun schon der dritte Fall einer wissenschaftlichen Arbeit der Universität Potsdam, in dem der Verdacht aufgekommen ist, dass abgeschrieben wurde. Wie kommt es, dass sich solche Fälle an der Uni Potsdam derzeit häufen?

Ich sehe dafür in Potsdam keine besonderen Gründe. Das ist nun etwas unglücklich für die Universität, dass gerade hier drei solche Fälle aufgetaucht sind. Die Problematik existiert aber bundesweit. Insbesondere in den nicht naturwissenschaftlichen Disziplinen wird vor Promotionsbeginn vielleicht nicht immer gründlich genug nachgefragt, ob bei dem potenziellen Doktoranden überhaupt ein wissenschaftlicher Anspruch vorhanden ist. In den Naturwissenschaften sind solche „Schnellpromotionen“ gar nicht möglich. In Zukunft muss genauer hingeschaut werden. Die Professoren bundesweit sind gefragt, darüber nun nachzudenken.

Muss an der Universität Potsdam mit weiteren Fällen gerechnet werden?

Ich rechne bundesweit mit noch weiteren Fällen, zumal die Medien nun systematisch die Reihen durchforsten. Momentan sind die Politiker dran. Irgendwann wird jemand auf die Idee kommen, alle promovierten DAX-Vorstände zu überprüfen.

Welche Konsequenzen zieht die Uni aus den bekannt gewordenen Plagiatsfällen?

Der Fall Graf hat gezeigt, dass die in den vergangenen Monaten an der Universität Potsdam veränderten Prozesse nun greifen. Es wird bei uns jetzt sehr schnell auf Plagiatsverdacht und -vorwürfe reagiert. Ziel ist es, in diesen Fällen innerhalb weniger Tage einen ersten Eindruck zu gewinnen und dann entsprechend der Promotionsordnung zu handeln. Bei Fällen von öffentlicher Relevanz wird die Öffentlichkeit dabei angemessen einbezogen.

Wie geht die Hochschule gegen solche Täuschungsversuche vor?

Wir bleiben natürlich weiter dran, die Qualität der Prozesse schon während der Promotionszeit und der Beurteilung zu verbessern.

Warum wurde die Täuschung im Fall Graf nicht bereits von den Gutachtern erkannt?

Das ist ein Problem, das Promotionsgutachter weltweit haben. Es kommt immer wieder zu absichtlichen Täuschungen wie auch zu unbeabsichtigten Plagiaten. Gutachter müssen ihr Bestes geben, derartige Probleme durch ein sorgfältiges Studium der Dissertation, aber zunehmend eben auch durch Nutzung verfügbarer Werkzeuge zu erkennen.

Im Fall von Florian Graf hat die Presse den Stein ins Rollen gebracht.

Es gab eine Anfrage der Presse, wahrscheinlich eine Routineanfrage. Es wird nun offensichtlich gezielt geschaut, welche Politiker promoviert haben und dann gefragt, was hinter dem jeweiligen Doktortitel steht. Dabei wurde der Sperrvermerk bemerkt, ein übliches Vorgehen, um eine zukünftige Publikation nicht zu gefährden. Anlässlich der Nachfrage hat sich die Universität die Arbeit dann aber genauer angeschaut und dabei erkannt, dass es darin offensichtlich Plagiate gibt. So gesehen greifen die Prozesse, wir schauen nun deutlich früher als bisher nach. Dieses Qualitätsbewusstsein muss bei allen Professorinnen und Professoren fest verankert sein. Gerade bei Arbeiten, deren Genese man nicht täglich verfolgt hat. Eine gewisse Sorgfalt, leider aber auch ein gewisses Misstrauen sind hier nötig.

Sollte nun die Hochschule selbst Plagiatssoftware einsetzen?

Ich persönlich mache das schon seit vielen Jahren, wir haben Abschlussarbeiten routinemäßig durchlaufen lassen. Fehlverhalten gab es nur selten, und dies übrigens nur bei Master- und Bachelorarbeiten. In meiner Disziplin, der Wirtschaftsinformatik, wie etwa auch in den Naturwissenschaften sind Doktorarbeiten im Wesentlichen das Ergebnis einer jahrelangen Zusammenarbeit zwischen Doktoranden und ihren Betreuern. Neuigkeitscharakter und methodische Fundierung der Ergebnisse – die grundlegenden Kriterien für eine Promotion– stehen daher im Regelfall schon vor der abschließenden Begutachtung fest.

Das reihenweise Scannen von Arbeiten ist aber auch umstritten.

Beim routinemäßigen Einsatz der Plagiatssoftware sind auch datenschutzrechtliche Aspekte zu beachten. Es gibt Rechtsauffassungen, die solche Überprüfungen für fragwürdig halten. Ich persönlich bin sehr für eine Routineüberprüfung, dann entsteht durch die Überprüfung kein Misstrauen, dann ist das schlichtweg normal.

Sie haben bereits 2009 in einer Publikation in „Forschung & Lehre“ die Motivation vieler Promotionen hinterfragt.

Ich bin nicht unglücklich darüber, dass solche Fälle nun ans Licht kommen. Denn dadurch wird die Grundsatzfrage gestellt, ob in Deutschland aus den richtigen Gründen promoviert wird. Oft findet die Promotion nur nebenberuflich statt, um den Titel zu erhalten. Ohne ein ernsthaftes wissenschaftliches Interesse sollte allerdings keine Promotion angefertigt werden. Damit muss es endlich ein Ende haben. Die Promotion sollte auch keine Verlegenheitslösung oder gar ein Standardabschluss sein. Es kann nicht Ziel unserer Gesellschaft sein, möglichst viele Studierende zu promovieren. Die Dissertation ist ausschließlich für eine ernsthafte, mehrjährige wissenschaftliche Tätigkeit gedacht. Insofern muss bereits im Vorfeld entschieden werden, ob eine Promotion überhaupt zielführend ist.

Sie waren sich der Problematik also schon lange vor dem Fall zu Guttenberg bewusst?

Ich bin seit über 20 Jahren den vielen Anfragen nach Promotion immer erst einmal mit der Frage nach dem wissenschaftlichen Anspruch begegnet: Warum will jemand überhaupt promovieren? Manch einer war schon von dieser Frage überrascht – und das Projekt damit beendet. Das sollte allgemein so gehandhabt werden.

Politiker haben eigentlich kaum Zeit, sich mit einer Promotion ernsthaft zu befassen.

Aus meiner Sicht ist es – abgesehen von Genies – völlig unmöglich, neben dem anspruchsvollen Beruf des Politikers eine wissenschaftlich hochwertige Arbeit zu verfassen. Das betrifft auch andere Berufe, etwa den des Managers. Manche Leute aus der Wirtschaft promovieren nebenbei, einige Unternehmen bieten einjährige Sabbaticals an, um sozusagen zwischendurch noch promovieren zu können. Das sind völlige Fehlentwicklungen. Geschäftsführer und Vorstände brauchen für ihre Arbeit keine Promotion. Solche Schnell- und Nebenbeipromotionen sind eine Verschwendung volkswirtschaftlicher Ressourcen. Langfristig sollten wir Verhältnisse wie in den USA anstreben, wo ein Doktorgrad im Regelfall nur von Menschen erworben wird, die langfristig in der Wissenschaft arbeiten wollen.

Zwei der Verdachtsfälle an der Uni Potsdam betrafen sogenannte externe Promovenden. Kann es sein, dass in solchen Prüfungsverhältnissen die wissenschaftliche Leistung oberflächlicher ausfällt?

Ich kenne keine Statistiken dazu. Ich vermute allerdings, dass solche Qualitätsprobleme gerade bei externen Kandidaten deutlich größer sind als bei internen Promovenden. Deshalb habe ich persönlich von externen Promotionen bisher immer abgesehen. Es mag Ausnahmen geben, in denen das sinnvoll ist. Aber grundsätzlich bin ich hier skeptisch.

Eigentlich müsste jemand, der es bis zur Promotion geschafft hat, doch wissen, wie man sauber wissenschaftlich arbeitet.

In der Tat, wenn die handwerklichen Grundlagen bis zum Promotionsbeginn nicht bekannt sind, muss man über das Curriculum nachdenken. Wobei in strukturierten Doktorandenprogrammen so etwas im ersten Jahr noch nachgeholt werden kann. Eigentlich sollte das aber bereits im Bachelorstudium vermittelt werden. Die aktuellen Fälle tragen hoffentlich dazu bei, das Bewusstsein dafür zu schärfen. Da ist offensichtlich in den vergangen Jahren einiges schiefgelaufen.

Könnte durch die neuen Bologna-Studiengänge wissenschaftliches Arbeiten im Studium zu kurz kommen?

Die Ursachen für solche Fehlentwicklungen sehe ich nicht in Bologna, zumal die Betroffenen der Uni Potsdam ihr Studium vor der Bolognareform abgeschlossen haben. Ein Bachelorprogramm läuft drei Jahre, ein knappes Vierteljahr ist für die Bachelorarbeit vorgesehen. Irgendwo muss dann eine intensive Lehreinheit zur Erstellung wissenschaftlicher Arbeiten vorgesehen sein. Das ist im Regelfall auch gegeben. Hier gibt es aber auch Defizite. Viel wichtiger scheint mir, dass die Verfügbarkeit von Texten im Internet die Hemmschwelle gesenkt hat. Hier gilt wohl auch „Gelegenheit macht Diebe“.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Oliver Günther (50) ist seit Jahresanfang Präsident der Universität Potsdam. Der Professors für Wirtschaftsinformatik wird bis Ende 2017 im Amt sein.

Bereits 2009 hatte sich Günther in einem Beitrag für die Publikation „Forschung und Lehre“ dagegen ausgesprochen, möglichst viele Studierende zu promovieren. Der Doktortitel sei weder Standardabschluss noch Verlegenheitslösung.

Nun sprach sich der Potsdamer Uni-Chef für eine bundesweit schärfere Auswahl von Doktoranden aus. Promovieren sollen künftig nur diejenigen, die sich ausschließlich auf ihre Dissertation konzentrieren. PNN

(09.05.12)

Dem Berliner CDU-Fraktionsvorsitzenden Florian Graf war vergangene Woche der Doktortitel entzogen worden. Die Universität Potsdam, an der Graf 2010 promoviert hatte, sah es als erwiesen an, dass Passagen seiner Doktorarbeit auf Plagiaten beruhen. 2011 gab es gleich drei Plagiatsvorwürfe an der Uni Potsdam. Zum einen hatte ein mittlerweile emeritierter Mathematikprofessor aus einem Sachbuch abgeschrieben. Zum anderen wurde der Potsdamer Honorarprofessorin Margarita Mathiopoulos vorgeworfen, abgekupfert zu haben. Ihr wurde indessen von der Universität Bonn der Doktortitel aus dem Jahre 1986 aberkannt. Der Plagiatsvorwurf gegen Niedersachsens Kultusminister Bernd Althusmann (CDU), der an der Uni Potsdam promovierte, wurde trotz vielfacher formaler Mängel in seiner Dissertation von der Uni nicht bestätigt. PNN

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