Von Henri Kramer: Prozessauftakt um tödlichen Tram-Unfall Fahrlässigkeitsverdacht gegen Straßenbahnfahrer / Widersprüche bei Freunden des toten 17-Jährigen
Seit der Nacht vom 13. zum 14.
Stand:
Seit der Nacht vom 13. zum 14. Juli vergangenen Jahres ist Ralf K. wochenlang arbeitsunfähig gewesen. Der 47-jährige Potsdamer fuhr damals die Straßenbahn, die den 17 Jahre alten Marc-Philipp G. überrollte. Gestern stand Ralf K. vor dem Amtsgericht und musste sich dort wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft K. vor, dass er als Fahrer mit geöffneter Tür anfuhr. So soll Marc-Philipp G. aus dem hinteren Teil des ersten Waggons gefallen sein, wurde vom zweiten Wagen der alten Tatra-Bahn überrollt. Der Junge starb noch vor Ort.
Das Unglück hatte sich kurz nach der Feuerwerkersinfonie im Buga-Park ereignet. Der zu dieser Zeit schon erheblich alkoholisierte Marc-Philipp wollte nach Hause, die Straßen waren voller Menschen. An der Haltestelle Campus-Pappelallee nahm das Unglück kurz nach Mitternacht seinen Lauf, als die Tram von Ralf K. angehalten hatte. Was dann genau passierte, darüber waren sich die direkten Zeugen – gestern ausschließlich Freunde des Opfers – allerdings uneinig. Bis auf einen Aspekt: Die Tür sei zu Fahrbeginn offen gewesen. Unterschiedlich schilderten sie aber die Details des Geschehens. Beispielsweise sah der 19 Jahre alte Kevin B., dass Marc-Philipp G. die sich schließende Tür zunächst aufdrückte und dann erst nebenher lief. Laut dem 18-jährigen Sebastian D. soll Marc-Philipp G. dagegen bereits einen Fuß in die Bahn gesetzt haben. Nachdem „abrupten“ Losfahren ohne Abfahrsignal sei sein „Kumpel nebenher gerannt“, mit der Hand an der Türstange – und plötzlich weg gewesen: „Sonst hat Philipp immer geschrieen, wenn ihm was passiert ist, doch da war es still.“ Nebenklage-Anwalt Jörn Lassan sagte später, die Freunde des Opfers seien noch „mitgenommen“ von dem tödlichen Unfall. Lassan vertritt die Mutter des Opfers, die gestern auf eigenen Wunsch nicht am Prozess teilnahm.
Es gibt zumindest an Teilen der Geschichte der jungen Leute erhebliche Zweifel. So sagten sie übereinstimmend, dass Marc-Philipp G. zwar vor her getrunken hätte, aber noch einen normalen Eindruck machte. Die Obduktion hatte damals 1,77 Promille Blutalkohol ergeben. Ebenso sagten die Jugendlichen aus, dass sie bei Eintreffen der Bahn nur dagestanden hätten. Katrin P. hat dies anders gesehen. „Einige Jugendliche haben mit Schlüsseln an den Scheiben gekratzt“, sagte die 26-Jährige. Mit ihrem Freund und einem Bekannten saß sie im hinteren Teil des ersten Wagens. Teile der Jugendgruppe draußen seien schließlich in die Bahn „gesprungen“, kurz bevor diese abfuhr. Plötzlich habe einer gesagt: „Der hat es nicht mehr geschafft.“ Im selben Augenblick habe es „ganz doll gerumpelt.“ Ähnlich sagte auch der 26 Jahre alte Bekannte von Katrin P. aus. Ob die Tür allerdings bei Abfahrt offen oder geschlossen war, wussten beide nicht. Katrin P. lief schließlich nach vorn zum Fahrer und bat ihn anzuhalten. Von dem Unfall hat Fahrer Ralf K. nach eigener Aussage nichts gemerkt. Als eine Frau ihn auf das Unglück aufmerksam machte, habe er gedacht, sie wolle ihn „veralbern“, sagte er zu Beginn des Prozesses. Er sei wegen des Festes „vorsichtig gefahren“ – und er habe vor der Fahrt alles geprüft; auch den Notfallschalter auf dem Fahrerpult. Ist dieser umgestellt, kann eine Tatra mit offener Tür fahren. Die Staatsanwaltschaft glaubt, dass Ralf K. genau dies gemacht hat und eine Plombe zur Sicherung schon so alt war, dass dies möglich war. Diesen Vorwurf soll ein Gutachten erhärten. Der Potsdamer Verkehrsbetrieb hatte nachdem Unfall alle Tatra-Plomben austauschen lassen.
Auch andere Fahrgäste erlebten in der Tatra von Ralf K. gefährliche Szenen: Vier Zeugen sagten aus, dass ebenso die hintere Tür im zweiten Wagen teilweise offen war, als die Tram fuhr – und so weitere Passagiere gefährdet gewesen seien. Morgen ist der zweite von drei Prozesstagen.
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