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Landeshauptstadt: Quo vadis Potsdam?

Der Vorsitzende des Potsdamer Bauausschusses, Christian Seidel, plädiert für einen Stadtbildpfleger

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Die sich ausbreitende Ökonomisierung der Gesellschaft macht auch vor Städtebau und Architektur nicht halt. Damit ich nicht missverstanden werde, natürlich muss wirtschaftliche Rentabilität ein wichtiges Kriterium jeden Investments sein. Aber die Betonung liegt auf „ein“; es ist nicht das alleinige, übergeordnete Kriterium. Oftmals hat man allerdings den Eindruck, es geht darüber hinaus um maximale Rendite in kürzester Zeit. Dabei wird verdrängt, dass schneller Gewinn in der Regel mit ebenso schneller Entwertung verknüpft ist. In Potsdam können wir exemplarische Beispiele besichtigen. Das Belvedere auf dem Pfingstberg hat nahezu keine Funktion: Als Wasserspeicher für den Neuen Garten würde ein „funktionales“ Hochbecken vollkommen ausreichen, es würde nicht einmal stören! Aber welcher Reiz geht von der funktions- und doch zeitlosen Schönheit des Belvederes aus. Sie steht geradezu für das fragile Potsdam mit den auch irrealen Visionen und Illusionen. „Die Architektur Potsdams war nie wirklich bedeutend, lässt man Knobelsdorffs Stadtschloss beiseite,“ schreibt Wolf Jobst Siedler und fährt fort, „und niemand hat die Miniaturresidenz im Ernst zu den großen Städten gezählt, wie sie in ganz Europa sich am Wasser lagern, Und dennoch nahm der unwirkliche Zauber des Ortes gefangen; die Kunst der Stadt verdankt sich fast allein ihrer Künstlichkeit weshalb einst alle Welt hierher pilgerte, um ein Wunder an Stadt ohne große Architektur zu besichtigen.“

Das Gesicht des Gesamtkunstwerkes ist zerstört, zuerst durch Bombardements, danach von den zur Macht gekommenen Kleinbürgern, die sich selbst sozialistisch nannten und Potsdam den Stempel einer sozialistischen Bezirksstadt aufdrücken wollten – was immer diese Chimäre auch bedeutete.

Aber auch nach 1989 war und ist das Gesicht Potsdams leider nicht vor Verschandelungen sicher: Glienicker Horn und Potsdam-Center sind die bekanntesten Bausünden, aber nur die Spitze des Eisbergs. Erst 2005 hat die Mehrheit der Stadtverordnetenversammlung einen Bebauungsplan beschlossen, der vor Zentrum-Ost ein Bürogebäude mit einer Höhe erlaubt, die es zweifelsfrei zu einer zusätzlichen Beeinträchtigung der Potsdamer Kulturlandschaft macht.

Zu welchem Ergebnis es führt, wenn unter dem Kriterium der Gewinnmaximierung für Anleger eines Immobilienfonds gebaut wird, kann von jedem am Hauptbahnhof bewundert werden. Eigentlich ging es um einen Bahnhofsneubau. Dafür wurde ein Wettbewerb ausgelobt, den GMP gewannen – das Büro, welches auch den Bahnhof Spandau und den Hauptbahnhof Berlin gebaut hat. Wie, mag man fragen, das waren die gleichen Architekten? In der Tat, nur sah der Siegerentwurf noch ähnlich transparent wie die zu Recht gefeierten Berliner Bahnhöfe aus. Aber damit ließ sich nicht genügend Gewinn machen, also mussten zusätzliche Handelsflächen hinein und ein Betonmonstrum des Typs Billigarchitektur entstand. GMP wurden „ausgezahlt“ weil sie nicht mehr mit diesem Bahnhof in Verbindung gebracht werden wollten.

Potsdam braucht weder neue Bausünden noch die Zementierung der Sünden der Vergangenheit. Wenn ich die Meldungen registriere: „Hochhaus an der Freundschaftsinsel wird saniert“, „Sanierung von Studentenwohnheimen in der Breiten Straße stößt auf Kritik“, „Auseinandersetzung um B-Plan Alter Markt“, dann drängt sich der Eindruck auf, dass Potsdam wieder einmal am Scheideweg steht. Die Stadt gehört weder der Verwaltung noch Investoren, selbst wenn sie Millionen in Stadt bringen. Wenn sie jemandem gehört, dann ihrer Bürgerschaft und die sollte sich gegen Angriff auf die Schönheit ihrer Stadt zur Wehr setzen. Wohin wären wir gekommen, wenn wir meinten, uns Schönheit nicht mehr leisten zu können? Welchem Staatsverständnis entspricht es eigentlich, wenn eine Administration erklärt, mit dem Geld der Bürger – denn nichts anderes ist es, was Regierungen und Verwaltungen treuhänderisch zu Verfügung haben – nur „funktionale Zweckbauten“ zu finanzieren, während „Architektur“ anderweitig bezahlt werden müsse. Es ist dringendst erforderlich, einen entscheidenden Schritt bei der Institutionalisierung der Stadtbildpflege voran zu kommen. Man muss nüchtern konstatieren, dass das Instrumentarium des Baurechts dafür mehr oder weniger ungeeignet ist. Alle bisherigen Ansätze haben nur in begrenzten Quartieren etwas gebracht. Deshalb sollte die Stadt einen kompetenten Fachmann als „Stadtbildpfleger“ gewinnen, der Kraft seiner fachlichen Autorität eine Institution darstellt, gegen die sich niemand leichtfertig stellt. Es gibt durchaus eine mächtige Waffe, auf die auch Bauherren reagieren: eine kritische öffentliche Meinung und eine schlechte Presse werden nicht einfach weggesteckt. Der Stadtbildpfleger muss weisungsfrei und unabhängig von der Verwaltung agieren. Natürlich ist der Stadtbildpfleger nicht nur für die Altstadt zuständig; allerdings liegt es in der Natur der Sache, dass die Schönheit der Neubaugebiete robuster und die Potsdamer Spezifik dort weniger ausgeprägt ist.

Eine Bemerkung zum Landtagsneubau: Es ist bedauerlich, dass die Planung des ersten Hauses des Souveräns quasi zu einer geheimen Kommandosache geworden ist. Leider bleibt den Stadtverordneten deshalb nur eine einzige Einflussmöglichkeit, nämlich der Beschluss des Bebauungsplans; für Fragen der Architektur ein sehr unzureichendes Instrument, aber andererseits auch ein sehr mächtiges. Aus meiner Sicht wären die Stadtverordneten schlecht beraten, wenn sie dieses Instrument nicht einsetzen würden, um zu garantieren, dass die Beschlüsse der Mehrheit der Stadtverordnetenversammlung und des Landtags umgesetzt werden.

Die Renovierung des Hochhauses an der Alten Fahrt ist ein Skandal. Es ist einhellig der erste Kandidat für einen Abriss. Es stand leer und ist unstrittig ein Überbleibsel einer verfehlten Stadtentwicklung, die die gewachsene Stadt bewusst ignorierte. Sollte sich herausstellen, dass eine städtische Gesellschaft dieses Objekt verkauft hat, um Einnahmen zu erzielen, hat sie gegen die Interessen der Stadt gehandelt. Das wäre ein Vorgang, der nicht ohne Konsequenzen bleiben könnte.

Unser Autor, Dr. Christian Seidel, ist Vorsitzender des Ausschusses für Stadtplanung und Bauen der Stadtverordnetenversammlung

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