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Potsdamer Justiz zur NS-Zeit: „Radikale Politisierung“

Die Historikerin Annemone Christians spricht im PNN-Interview über die nationalsozialistische Justiz in Potsdam.

Stand:

Frau Christians, am 12. September soll in der Gedenkstätte Lindenstraße das des Hauses eröffnet werden. Können Sie jetzt schon einmal einen Ausblick auf den neuen Ausstellungsteil geben?

Die Ausstellung wird sich in drei thematischen Bereichen mit der NS-Vergangenheit des Hauses beschäftigen. Die Tätigkeit des Potsdamer Erbgesundheitsgerichts wird ebenso beleuchtet wie die Verfolgung politisch missliebiger Personen durch den Volksgerichtshof, der auch in Potsdam tagte. Zudem wollen wir zeigen, wie die regulären Strafgerichte eine radikale Politisierung erfuhren. Ein thematischer Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf den Opfern. Wir werden uns sehr mit den persönlichen Schicksalen von Verfolgten auseinandersetzen.

Die promovierte Historikerin Annemone Christians, 32, wirkte an der Konzeption zur künftigen Ausstellung über die NS-Vergangenheit der Lindenstraße 54/55 mit.

Das heißt, Sie werden Einzelschicksale von Opfern dokumentieren?

Ja, nach umfangreichen Recherchen konnten wir einige Überlebende oder Angehörige von Opfern ausfindig machen. Wir haben zum Beispiel ein Interview mit dem Sohn von Constantin von Dietze. Das wird man in der Ausstellung auf einem Video sehen können. Von Dietze war in der Bekennenden Kirche aktiv und wurde 1937 in Potsdam inhaftiert. Man entließ ihn allerdings bald wieder. In Freiburg, wo der Agrarwissenschaftler an der Universität lehrte, bildete er zusammen mit mehreren Wissenschaftlern den oppositionellen Freiburger Kreis, der auch intensive Kontakte zum bekannteren Kreisauer Kreis hatte. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 verhaftete man von Dietze erneut. Das Verfahren gegen ihn vor dem Volksgerichtshof sollte in Potsdam stattfinden. Dazu kam es aber wegen des nahen Kriegsendes schließlich nicht mehr.

Vor allem bekannt ist, dass in der Lindenstraße während der NS-Zeit das Erbgesundheitsgericht tagte. Was haben Sie hierzu recherchieren können?

Dieses Instrument zur Durchsetzung der NS-Rassenhygiene tagte in dem Haus in der Lindenstraße in mehreren Räumen – wo genau, kann man nicht mehr exakt nachweisen. Das Gericht verhandelte meist, ohne überhaupt die Betroffenen anzuhören. Man kann davon ausgehen, dass rund 4120 Verfahren am Erbgesundheitsgericht anhängig waren. Nach unseren Stichproben denken wir, dass die Zwangssterilisation für mindestens etwa 3300 Männer, Frauen und Jugendliche angeordnet und dann auch durchgeführt wurde

Wo fanden die Verhandlungen vor dem Volksgerichtshof in Potsdam statt?

In der heutigen Hegelallee, im Landgerichtsgebäude, wo jetzt das Amtsgericht untergebracht ist. Die Gefangenen waren aber im Gerichtsgefängnis in der Lindenstraße inhaftiert. Am 3. Februar 1945 wurde der Berliner Hauptsitz des Gerichts komplett zerstört. Für die kurze Zeitspanne von Februar bis April 1945 tagte der Volksgerichtshof komplett in Potsdam. Zuvor fanden hier aber auch schon einzelne Verhandlungen statt. Über 250 Menschen wurden verurteilt, mindestens 55 von ihnen zum Tode.

Das Gespräch führte Holger Catenhusen

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