
© Andreas Klaer
Von Erhart Hohenstein: Radioaktivität wird gemessen
Rangerhöhung für die Wetterwarte Potsdam: Einweihung als Klimareferenzstation
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Teltower Vorstadt - Auf dem Telegrafenberg wird seit Anfang Mai auch die Radioaktivität der Luft gemessen. Dies teilte Wolfgang Kusch, der Präsident des Deutschen Wetterdienstes, gestern während der Einweihung der Wetterwarte Potsdam als Klimareferenzstation mit. Die Messstelle befand sich bisher auf dem Flughafen Tempelhof. Als dessen Schließung 2007 feststand, begann im ehemaligen Dienerhaus – einst Unterkunft der Nachtwache – der drei Jahre dauernde Ausbau zu einem neuen Domizil. Mit hoher Einsatzbereitschaft konnten Brigitte Lang und das Serviceteam der Wetterwarte die Fertigstellung und die Umlagerung aus Tempelhof sichern.
In drei Räumen werden die Luftproben mit Hilfe von Computern analysiert. Übersteigen die Kurven der Radioaktivität die Grenzwerte, wird Alarm ausgelöst und in die Wetterdienstzentrale nach Offenbach weitergegeben, die deutschlandweit 48 solcher Stationen unterhält. Aufhalten könnte man eine radioaktive Wolke freilich nicht. Viel mehr als die Warnung der Bevölkerung, wie nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl, wäre nicht möglich.
Der Blick aus den Fenstern des Dienerhauses fällt auf ein Freigelände, das die Wetterwarte mit Messgeräten bestückt hat. Glanzstück ist die weltweit einzige Messung der Bodentemperatur bis in zwölf Meter Tiefe. Die Apparate dienen nun auch der Klimareferenzstation, die von Helgoland über Brocken und Fichtelberg bis Konstanz elf Schwestern hat. Sie bilden laut Kusch das Herzstück der 2100 Wetterwarten, Wetterstationen und Messstellen – darunter auch ehrenamtlich betriebene –, die Deutschland überziehen. Sie liefern zum Luftdruck, zur Luft- und Bodentemperatur, zu Niederschlag und Sonnenschein, Feuchte und Schneehöhe Messdaten, die verlässliche Rückschlüsse auf die bereits eingetretenen, aber auch die zu erwartenden Klimaveränderungen ermöglichen. Deshalb sind sie, stellte Staatssekretär Jan Mücke aus dem Bundesverkehrsministerium fest, eine wesentliche Grundlage für die Klimaschutzpolitik der Bundesregierung. Dafür können nicht unbewiesene Hypothesen, sondern nur empirische Messungen dienen, erklärte Prof. Schellnhuber, Direktor des Instituts für Klimafolgenforschung. Auch die in einigen Medien als unbewiesene Behauptung der „Potsdamer Rechenkünstler“ bezeichnete Aussage, dass die Durchschnittstemperatur auf der Erde in den letzten zwölf Monaten die höchste bisher war, beruhe auf exakten Messungen.
Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) wies auf den in Potsdam gegründeten Klimabeirat hin, mit dessen Hilfe in der Stadt ein Klimaschutzprogramm umgesetzt werde. Seit den 1990er Jahren habe sich dadurch die Umweltsituation in Potsdam wesentlich verbessert. Jakobs freue sich, dass der Telegrafenberg mit Klimareferenzstation und Radioaktivitätsmessungen wissenschaftlich weiter aufgewertet worden ist. Nach der deutschen Wiedervereinigung war über Jahre hinweg im Gespräch, die Potsdamer Wetterwarte durch eine automatisch arbeitende Station zu ersetzen. Diese Gefahr ist nun vom Tisch, auch wenn nach PNN-Informationen neue Personaleinschränkungen bevorstehen. Potsdams Vorzug sind die bereits 1842 vom Sanssouci-Hofgärtner Wilhelm Legeler festgehaltenen Wetterbeobachtungen, die dann ab 1893 regelmäßig bis heute aufgezeichnet wurden, mit Ausnahme von zwei Tagen am Kriegsende 1945. Sie darf sich deshalb Säkularstation nennen. Die 113 Jahre lang geführten, unersetzlichen „Zeitreihen“, wie der Meteorologe sagt, dürfen keinen Bruch erleiden. Deshalb wird bei der Modernisierung durch Automaten stets auch die traditionelle „Augenbeobachtung“ des Wetters noch für zehn Jahre fortgesetzt.
Kusch, Schellnhuber und Jakobs enthüllten am Messfeld auf dem Gelände des Wissenschaftsparks eine Tafel, die auf die Rangerhöhung der Wetterwarte zur Klimareferenzstation hinweist.
Erhart Hohenstein
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