WISSENSCHAFT IN POTSDAM: Raketen-Bestellung vom Telefgrafenberg
2017 soll die zweite Grace-Satellitenmission starten – das Geoforschungzentrum Potsdam sucht jetzt europaweit nach einer Rakete.
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Es ist ein millionenschwerer Auftrag – und die Bewerbungsfrist endet am 24. Juli Punkt 10 Uhr: Das Deutsche Geoforschungzentrum Potsdam (GFZ) hat den Bau und Start einer Trägerrakete für das Nachfolgeprojekt der internationalen Forschungsmission „Grace“ europaweit ausgeschrieben. Benötigt werden „eine Trägerrakete inklusive Launchadapter, Abkopplungssystem und der Startdurchführung“, wie in der Ausschreibung in trockenem Amtsdeutsch nachzulesen ist. Zu den wesentlichen Anforderungen an das benötigte Raumfahrzeug heißt es dort weiter: „Transport von zwei gleichartigen Satelliten, Nutzlast cirka 1,3 Tonnen“.
Die Rakete soll die beiden Nachfolger von Tom und Jerry in den Orbit bringen – jenen Satelliten, mit deren Daten es den Potsdamer Geoforschern gelungen war, bislang unerreicht präzise Erdschweremessungen vorzunehmen und damit unter anderem Aussagen über Ozeanströmungen oder den Eismassenverlust in der Antarktis zu treffen und die berühmte „Potsdamer Kartoffel“ als Modell der Erdanziehung zu entwickeln (PNN berichteten). Die Grace-Projekt – der Name kürzt das englische Gravity Recovery And Climate Experiment, Erdschwerefeld- und Klimaexperiment, ab – sei „eine der erfolgreichsten geowissenschaftlichen Missionen der letzten zehn Jahre“, bilanziert Frank Flechtner, der verantwortliche Wissenschaftler am GFZ.
Das ist auch der Grund, dass die Forscher mit den Projektpartnern von der US-amerikanischen Weltraumbehörde NASA, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen und dem Center for Space Research der Universität in Austin, Texas, die Nachfolgemission auf den Weg bringen wollen. „Wir brauchen möglichst lange Zeitreihen“, sagt Flechtner, der wie 20 weitere GFZ-Forscher an der Außenstelle in Oberpfaffenhofen arbeitet. Nur so könnten belastbare Vorhersagen über den Klimawandel bis zum Jahr 2100 getroffen werden.
Noch leisten zwar Tom und Jerry, die am 17. März 2002 vom russischen Plesetsk aus gestartet waren, gute Dienste in der Erdumlaufbahn: Erste Alterserscheinungen machen sich jedoch bemerkbar. „Das Problem ist der Zustand der Batterien“, erklärt Flechtner. So seien bereits zwei der 20 Batteriezellen kaputt, daher müssten alle 161 Tage die Instrumente an Bord vorübergehend abgeschaltet werden. Flechtner geht davon aus, dass das Satellitenpaar noch zwei Jahre durchhält.
Als Starttermin für die Nachfolgemission „Grace Follow-On“ ist der August 2017 vorgesehen. Diesmal hat das GFZ die Ko-Leitung des Projekts neben der NASA übernommen – bislang lag sie bei der DLR. Damit sind die Geoforscher nun nicht nur für die spätere Datenauswertung, sondern auch für die Beschaffung der Trägerrakete und den Betrieb der Satelliten im Orbit zuständig, erklärt Flechtner. Erfahrungen damit habe das GFZ bereits bei der Grace-Vorgängermission „Champ“ gemacht.
Rund 25 Millionen Euro sind allein für den jetzt ausgeschriebenen Raketenbau samt Start eingeplant. Neben der laufenden europaweiten Ausschreibung seien auch drei einschlägige Firmen gezielt zur Bewerbung eingeladen worden, so Flechtner. Insgesamt soll die Grace-Nachfolgemission 60 Millionen Euro kosten – finanziert wird das vom Bundesforschungsministerium, vom Bundeswissenschaftsministerium und von der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, der das GFZ angehört. Es ist Geld, das auch der deutschen Industrie zugute kommt, betont Frank Flechtner: „Da wird in Zukunftstechnologien investiert.“ So sei etwa die Firma Astrium in Friedrichshafen, deren Ingenieure bereits Tom und Jerry konstruierten, mit dem Bau der beiden neuen Satelliten beauftragt worden. Dafür fließen den Angaben zufolge zweistellige Millionenbeträge von der NASA.
Auch die Satelliten-Ausstattung mit den Instrumenten wird wesentlich in Deutschland entwickelt und hier gebaut, erläutert Flechtner: Die Satelliten, die ihren Vorgängern in der Bauweise gleichen, sollen mit neuen Laser-Abstandsmessgeräten bestückt werden. So sollen die gelieferten Daten mindestens fünfmal, im Idealfall sogar fünfzigmal so exakt werden wie bisher.
Dabei bleibt die Grundidee dieselbe: Das Satellitentandem, das die Erde derzeit in rund 450 Kilometern Höhe pro Tag 14-mal umrundet, errechnet die Schwerefelddaten aus dem Abstand der beiden Flugkörper zueinander. Das ist möglich, weil sich Änderungen im Schwerefeld auch auf die Laufbahn der Satelliten auswirken. Bislang wurde der Abstand per Mikrowellen mikrometergenau gemessen, so Flechtner: „Das entspricht einem Zehntel Haaresdicke.“ Mit den neuen Laserinstrumenten sollen das noch präziser werden. Zudem soll sich die Auflösung erhöhen: Während heute pro Monat ein Schwerefeld errechnet wird, sollen es dann zwei sein.
Kleinere Verbesserungen sind auch bei der Ausstattung geplant: So soll die Positionsbestimmung störungsfreier werden. Bis auf zwei Zentimeter genau können Tom und Jerry ihre Position im Raum bestimmen, indem sie Fotos aus zwei Kameras mit dem Sternenkatalog abgleichen, so Flechtner. Probleme gebe es aber immer dann, wenn die Kameras durch Sonne oder Mond praktisch „geblendet“ werden. Deshalb setzen die Forscher bei den neuen Satelliten auf je drei Kameras.
Von mindestens fünf, im Idealfall aber zehn Jahren Laufzeit gehen Flechtner und die anderen Mitarbeiter der Abteilung Geodäsie und Fernerkundung am GFZ aus. „2027 hätten wir mit kleinen Lücken fast 25 Jahre Messdaten“, freut sich Frank Flechtner. Die Rechnung der Forscher ist einfach: „Je länger die Zeitreihen, umso zuverlässiger die Vorhersagen.“ Zuerst hofft Flechtner jedoch auf einen guten Start der Mission im August 2017. Namen für die neuen Satellitenzwillinge gebe es übrigens noch nicht, sagt der Geowissenschaftler: „Aber jemand hat schon Fix und Foxi vorgeschlagen.“
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