zum Hauptinhalt

Unterkünfte für Flüchtlinge: Rathaus ruft Private zur Hilfe

Immer mehr Menschen weltwet suchen Schutz Verfolgung und Krieg - auch in Potsdam. Die Stadt will jetzt private Grundstücks- und Immobilieneigentümer für die Schaffung von Unterkünften gewinnen.

Von Peer Straube

Stand:

Bei der Suche nach dringend benötigten zusätzlichen Flüchtlingsquartieren in Potsdam hofft die Stadt auf ein Engagement privater Investoren. Das Rathaus habe eine Ausschreibung mit dem Ziel gestartet, Immobilienbesitzer dafür zu gewinnen, ein geeignetes Gebäude für die Unterbringung von Asylsuchenden zur Verfügung zu stellen, sagte Stadtsprecher Jan Brunzlow den PNN. Bislang habe es allerdings erst zwei Angebote gegeben, die beide nicht infrage gekommen seien. Parallel sucht die Stadt mit Hochdruck nach geeigneten Häusern und Grundstücken im eigenen Bestand. Aktuell seien zehn Objekte in der engeren Wahl.

Grund für die Eile ist wie berichtet der dramatische Anstieg der Flüchtlingszahlen in Brandenburg, der eine Folge der Kriege und Krisen weltweit ist. In einem Rundbrief hatte das Landessozialministerium Ende August alle Kommunen, auch Potsdam, dazu aufgefordert, ihrer Pflicht zur Unterbringung von Flüchtlingen unverzüglich nachzukommen. Andernfalls werde das Land per sogenannter Ersatzvornahme selbst tätig werden. Das Land würde dann für die Flüchtlinge Unterkünfte suchen – zum Beispiel in Hotels – und der Stadt die entsprechenden Ausgaben in Rechnung stellen, sagte Ministeriumssprecher Florian Engels den PNN.

Bis zum Jahresende muss Potsdam insgesamt 336 Asylsuchende aufnehmen, lediglich knapp die Hälfte von ihnen konnte bislang mit einer Unterkunft versorgt werden. Im Ministerium geht man allerdings davon aus, dass Potsdam in diesem Jahr noch mehr Flüchtlingen Räume bieten muss. Weil die Flüchtlingszahlen im Herbst erfahrungsgemäß steigen, werde auch die Landeshauptstadt mehr Menschen aufnehmen müssen. „Die Zahlen werden weiter steigen“, sagte Engels.

Noch kritischer wird die Lage, weil eine am Horstweg vorgesehene Gemeinschaftsunterkunft für bis zu 100 Flüchtlinge rechtlich umstritten ist. Der Bauantrag für das vom Babelsberger Baustoffunternehmen Brun und Böhm geplante Projekt liege derzeit auf Eis, sagte Brunzlow. Als Grund hatte Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) in der Stadtverordnetenversammlung ein Gerichtsurteil aus Stuttgart genannt, wonach Flüchtlingsunterkünfte nicht in Gewerbegebieten untergebracht werden dürfen. Ob dieses Urteil auch für Potsdam maßgeblich sei, werde derzeit vom Rechtsamt geprüft, so Brunzlow. Die für das Projekt vorgesehene Fläche vis-à-vis der Agentur für Arbeit ist im Bebauungsplan tatsächlich als Gewerbegebiet ausgewiesen. Ob sich der Bauträger NCC, der in der Nähe der geplanten Flüchtlingsunterkunft Einfamilienhäuser errichtet, gegen das Projekt wehrt, blieb am Donnerstag unklar. Eine entsprechende Anfrage beantwortete das Unternehmen nicht. Man wolle sich zu dem Thema auch weiterhin öffentlich nicht äußern, sagte eine Unternehmenssprecherin auf Anfrage lediglich. Die Stadt wolle allerdings an dem Flüchtlingsheim-Projekt festhalten, kündigte Brunzlow an.

Unterstützung bekommt sie dafür von dem Kommunalrechtsexperten Thorsten Ingo Schmidt von der Universität Potsdam. Eine Flüchtlingsunterkunft könne als soziale Einrichtung gewertet werden, wie sie vom Baugesetzbuch ausnahmsweise in Gewerbegebieten erlaubt sei, sagte Schmidt den PNN. Bei der Abwägung komme es darauf an, ob das „Gebot der planerischen Konfliktbewältigung“ eingehalten werde, so Schmidt. Im Klartext: Nebeneinander dürfe nur gebaut werden, „was sich auch miteinander verträgt“. Ein Flüchtlingsheim neben eine Wohnsiedlung zu bauen, sei daher aus seiner Sicht „nicht so problematisch“, erklärte der Jurist.

Hilfe bei der Suche nach Standorten bekommt die Stadt auch vom Stadtverordneten Wolfhard Kirsch (Bürgerbündnis). Kirsch, der in Potsdam als Bauträger tätig ist, sagte den PNN, er führe derzeit „jede Menge Hintergrundgespräche“. Allerdings gebe es bei vielen Grundstückseigentümern Vorbehalte. Dennoch gab sich Kirsch optimistisch. Er verhandle derzeit über die Nutzung eines Grundstücks in Babelsberg, auf dem relativ schnell eine Flüchtlingsunterkunft aus Fertigteilen mit Platz für bis zu 80 Menschen gebaut werden könne, so Kirsch. Allerdings müsse auch die Stadt selbst Objekte bereitstellen, forderte Kirsch. Seine Fraktion habe daher beantragt, dass das ehemalige Domizil der Volkshochschule (VHS) in der Dortustraße auf seine Eignung als Flüchtlingsunterkunft geprüft werde, so Kirsch.

Laut Stadtsprecher Brunzlow steht die alte VHS bereits auf der Prüfliste. Ein Umbau sei allerdings sehr teuer, daher stehe das Gebäude kurzfristig nicht zur Verfügung. Mit dem Kommunalen Immobilien Service (KIS) und der städtischen Baugesellschaft Pro Potsdam werde jedoch gemeinsam nach geeigneten Objekten gesucht, so Brunzlow. Zugleich verteidigte er den Verkauf eines Grundstücks in der Straße Am Buchhorst an einen privaten Investor. Das Areal war wie berichtet ebenfalls als Standort für ein Flüchtlingsheim im Gespräch gewesen. Sowohl die Stadtpolitik als auch der Ausländerbeirat der Stadt hätten das Grundstück als ungeeignet abgelehnt, so Brunzlow.

In Potsdam leben derzeit mehr als 330 Flüchtlinge, die meisten davon in einem Heim am Schlaatz. Darüber hinaus gibt es eine Unterkunft mit 13 Plätzen für besonders schutzbedürftige Frauen und Kinder in der Hegelallee sowie zwei Wohnungsverbundprojekte in der Haeckelstraße und im Staudenhof, wo Asylsuchende Tür an Tür mit Potsdamern leben. Eine dritte Einrichtung dieser Art baut die Pro Potsdam derzeit in der Grotrianstraße, sie soll 2015 eröffnet werden. Ein weiteres Projekt plant die Pro Potsdam auf dem ehemaligen Tramdepot in der Heinrich-Mann-Allee. Das ist allerdings noch Zukunftsmusik: Für das Areal müsse erst ein Bebauungsplan erarbeitet werden, so Brunzlow.

HINTERGRUND

Die Zahl der Asylbewerber in Brandenburg hat sich innerhalb von zwei Jahren nahezu verdoppelt. Wie das Potsdamer Innenministerium mitteilte, wohnten Ende Juli 28 Asylberechtigte, 297 anerkannte Flüchtlinge, 2130 geduldete Flüchtlinge und 3967 Asylbewerber im Land. „Allein die Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt beherbergt aktuell 1385 Asylbewerber“, sagt Ministeriumssprecher Wolfgang Brandt. Von ihnen komme mehr als die Hälfte aus Syrien, Serbien, Tschetschenien und Eritrea. Um den Zulauf einzudämmen, will die Bundesregierung die Balkanländer Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu sogenannten sicheren Drittstaaten erklären, damit Asylbewerber aus dieser Region schneller abgeschoben werden können. Der Bundesrat will darüber am heutigen Freitag beraten.

In Eisenhüttenstadt bleiben die Flüchtlinge nach Auskunft des Inneministeriums in der Regel maximal drei Monate. Danach würden sie auf die Landkreise und kreisfreien Städte verteilt und dort in Gemeinschaftsunterkünften oder Wohnungen untergebracht „Als Konsequenz aus der wachsenden Zahl von Asylbewerbern im vergangenen Jahr wurden bereits Wohncontainer auf dem Gelände in Eisenhüttenstadt aufgestellt“, so Brandt. Dort stehen derzeit – inklusive 250 Notbetten – 1600 Aufnahmeplätze zur Verfügung. Ferner würden im Land ehemalige Jugendwohnheime oder Kasernengebäude als Unterkünfte angemietet. Zudem nutze das Land auch das leer stehende Gebäude für das Flughafenasylverfahren am Flughafen Schönefeld. Zuletzt hatte kurz vor der Landtagswahl ein geplantes Flüchtlingswohnheim in einer leer stehenden Kaserne in Doberlug-Kirchhain für Aufregung gesorgt. Sie wird als zweiter Standort der Erstaufnahmestelle in Eisenhüttenstadt geprüft. (dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })