Landeshauptstadt: Raubzug
Der Süden, heiß wie die Hölle, Leidenschaft, lebenslange Liebe und eine große Familie, die in guten wie in bösen Tagen zusammenhält: Es gibt Plots, die scheinen wie geschaffen für einen Literaturpreis oder einen Oscar. Manchmal beschleicht einen beim Lesen oder Zuschauen das Gefühl, genau zu diesem Zweck seien sie auch oder für den Film geschaffen.
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Der Süden, heiß wie die Hölle, Leidenschaft, lebenslange Liebe und eine große Familie, die in guten wie in bösen Tagen zusammenhält: Es gibt Plots, die scheinen wie geschaffen für einen Literaturpreis oder einen Oscar. Manchmal beschleicht einen beim Lesen oder Zuschauen das Gefühl, genau zu diesem Zweck seien sie auch oder für den Film geschaffen. Laurent Gaudé hat sich für „Die Sonne der Scorta“ auf diesen süffigen Mix verlassen.und seine Leser damit um Zeit für ein gutes Buch gebracht. 1875 kehrt der Kleinkriminelle Luciano Mascalzone nach 15 Jahren Gefängnis in sein apulisches Dorf zurück, schwängert irrtümlich die Schwester seiner großen Liebe und wird für diesen Frevel umgehend gesteinigt. Rocco Scorta Mascalzone, den er bei jenem letzten Akt gezeugt hat, übertrifft den Vater noch als Räuber und Vergewaltiger und Schrecken des Dorfes und stürzt zudem seine drei Kinder vom Wohlleben ins Elend. Aber im Laufe der Jahrzehnte arbeiten sie sich hoch, und ihre Familien heraus, als Fischer, Ölbauern und Tabakhändler. Gaudé verstößt gleich mehrfach gegen die Regeln des guten Geschmacks: Warum muss ein Mörder, Räuber, Frauenschänder auch noch Mascalzone heißen? Schon gar, wenn das Wort (Schurke, Schuft, Lump, Gauner) den Verbrecher verniedlicht? Malcalzones Sohn Domenico lässt der Autor schwärmen, sein Olivenöl dufte „nach Steinen und Sonne“, acht Zeilen später duftet es aber „nach dem Schweiß unseres Volkes, nach den schwieligen Händen unserer Frauen“. Redet so ein apulischer Bauer oder nicht eher die Propagandaabteilung des Front national? Für den Roman hat Gaudé den Prix Goncourt bekommen. Andrea Dernbach
Laurent Gaudé: Die Sonne der Scorta. Roman. Aus dem Französischen von Angela Wagner. dtv, München. 254 S., 14,50 €.
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