Landeshauptstadt: Rauchen, Cliquen, Sicherheit Eine Amerikanerin lernt Potsdams Jugend kennen
Einen Schreck hat sie bekommen. Das zumindest sagt Sarah Ochsner, zur Zeit Fremdsprachenassistentin am Evangelischen Gymnasium Hermannswerder.
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Einen Schreck hat sie bekommen. Das zumindest sagt Sarah Ochsner, zur Zeit Fremdsprachenassistentin am Evangelischen Gymnasium Hermannswerder. Die 24-Jährige, die in den USA Englisch auf Lehramt studierte, lebt nun für ein Jahr in Potsdam und arbeitet an dem Gymnasium. Dort unterrichtet sie, gibt Nachhilfe in Englisch und Mathe – ganz nah dran an den jungen Leuten. „Als ich herkam, war ich zuerst geschockt“, sagt sie. Denn nach ihrer Wahrnehmung gibt es wesentliche Unterschiede zwischen Potsdamer Jugendlichen und jungen Leuten aus ihrer Heimat South Dakota in den USA.
Ein Beispiel: Die Jugendlichen hier seien schon in jungen Jahren äußerst eigenverantwortlich, reif und selbständig. Ein achtjähriges Mädchen allein in der Tram – das gäbe es in Sarahs Heimatstadt nicht. Die Kriminalität sei dort viel zu hoch. „Drüben muss man damit rechnen, dass fast jeder eine Waffe hat, die er auf dich richten kann – hier kann man sich einfach sicherer fühlen“, so Sarah. Diese Sicherheit, die die Jugendlichen natürlich spürten, führe zu einem ganz anderen Verhalten. „Mädchen, die mit 13 Jahren bereits mit ihren Freunden ins Kino gehen, wachsen so in einem viel sozialeren Umfeld auf“, sagt sie. Beeindruckt ist sie auch von einer anderen Sache: „Hier kann jeder Schüler mindestens eine Fremdsprache – auch das gibt es in den USA nicht.“
Ebenso fällt ihr auf: In Deutschland gibt es kaum so viele Cliquen wie in den USA. Den Grund dafür sieht sie im Schulsystem. „In South Dakota werden Gymnasien, Gesamt- und Hauptschulen nicht voneinander unterschieden“, sagt Sarah. So würden unterschiedlichste soziale Schichten aufeinander treffen: „Da muss man sich eher voneinander abgrenzen.“ Die Folge sei die Bildung von Gangs, Gruppenzwang und die Identifizierung über Markenklamotten. Die Jugendlichen im Gymnasium stammten hingegen aus ähnlichen sozialen Schichten, findet Sarah. Gruppenzwang gäbe es daher nicht, die Entwicklung der Jugendlichen verlaufe individueller. Einen Nachteil habe dieses Schulsystem dennoch: Die Barmherzigkeit der Potsdamer Schüler, der Wille, auch Lernschwächeren zu helfen, werde so nicht sonderlich gefördert – schließlich befänden sich alle Schüler auf einem Niveau. Auch andere Schattenseiten hat sie schon entdeckt: „Wir haben zu Hause in den USA immer gesagt: Wer nach Europa reist, muss das Rauchen lernen“, sagt Sarah. Fast alle Jugendlichen würden in Potsdam rauchen. Das findet sie „erschreckend“ – trotz der größeren Selbstständigkeit der jungen Deutschen. S. Blumrich
S. Blumrich
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