Landeshauptstadt: „Rechte Politiker demaskieren“
Der Vorsitzende des Ausländerbeirates und seine Stellvertreterin ziehen nach einem Jahr Bilanz
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Der Vorsitzende des Ausländerbeirates und seine Stellvertreterin ziehen nach einem Jahr Bilanz Herr Ke’ngum und Frau Gjoka, vor einem Jahr hat sich der derzeitige Ausländerbeirat konstituiert, dessen Vorsitzende Sie sind. Was haben Sie in diesem Jahr für die in Potsdam lebenden Ausländer geschafft? Herr Ke’ngum: Eine ganze Menge. Wir haben dazu beigetragen, dass die Marie-Curie-Schule als Schwerpunkt-Schule für ausländische Schüler erhalten wird. Rund 100 ausländische Jugendliche aus der ganzen Stadt besuchen die Schule. Viele von ihnen brauchen den dort angebotenen intensiven Deutschunterricht. Daneben werden sie in musischen Fächern, Kunst, Musik und Sport, unterrichtet. Denn nur mit ausreichenden Sprachkenntnissen haben sie eine gute Chance, im normalen Bildungssystem mitzukommen. Was haben Sie noch erreicht? Herr Ke’ngum: Wir haben uns dafür eingesetzt, dass die Lebensbedingungen im Asylbewerberheim am Lerchensteig verbessert wurden. Die Räume wurden saniert, die Bustakte verkürzt. Früh und am Nachmittag gibt es mittlerweile stündlich drei Busverbindungen in die Stadt. Sie hatten für die 80 im Oktober von der Kirschallee zum Lerchensteig umgezogenen Asylbewerber eigentlich mehr erreichen wollen. Herr Ke’ngum: Ja, wir haben alles daran gesetzt, dass die Asylbewerber in der Kirschallee bleiben können, wo sie stadtnäher lebten und besser integriert werden konnten. Leider hat die Stadt anders entschieden. Wir haben daran sehr viel Kritik geübt. Aber das Asylbewerberheim bleibt für uns Thema. Wir werden auch im nächsten Jahr versuchen, die Lebensbedingungen dort zu verbessern. Mit welchen Problemen wenden sich die Leute an den Beirat? Herr Ke’ngum: Es geht oft um Eheprobleme zwischen Partnern verschiedener Nationen, um Sprachschwierigkeiten, Aufenthaltsgenehmigungen, um Arbeit. Und um Nachbarschaftskonflikte zwischen Einheimischen und Ausländern. Zum Beispiel...? Herr Ke’ngum: Bewohner eines Hauses verstehen sich nicht, sie kommen aus unterschiedlichen Kulturkreisen, leben anders. Wir versuchen bei Beschwerden zu vermitteln und Kompromisse zu finden. Wenn zum Beispiel jeden Tag Musik gespielt oder getrommelt wird, ist klar, dass bestimmte Ruhezeiten einzuhalten sind. Darüber reden wir mit beiden Parteien. Frau Gjoka: Wir haben stundenlang mit einer Frau gesprochen, die sich über die Ausländer, die lauten Ausländer-Kinder vor ihrem Fenster und die angebliche Schuld von Ausländern an der wirtschaftlichen Misere Brandenburgs beschwert hat. Wir haben argumentiert, dass die zwei Prozent ausländischer Mitbürger in Brandenburg wohl kaum für die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich sein können. Wir haben sie gefragt, worin sich ausländische von deutschen Kindern unterscheiden. Wenn Kinder spielen kann es nun einmal etwas lauter werden. Wir haben mit ihr über multikulturelle Gesellschaften und die Möglichkeiten, sich gegenseitig zu bereichern, geredet. Und konnten Sie die Frau überzeugen? Frau Gjoka: Ja, es hat sich gelohnt, miteinander ins Gespräch zu kommen. Sie hat sich sogar bei uns entschuldigt. Leider ist die Propaganda gegen Ausländer in den letzten Jahren gestiegen. Und das Ergebnis der letzten Landtagswahl ist dramatisch, mehr als sechs Prozent der Brandenburger haben die DVU gewählt. Was ist da falsch gelaufen? Frau Gjoka: Man kann die Rechten nicht ignorieren, so wie es viele Jahre geschehen ist. Wir brauchen eine offensive Auseinandersetzung mit den rechten Parteien, dürfen ihnen nicht mit Ironie und Schweigen entgegentreten. Man muss sie demaskieren, sie bloß stellen, ihre dummen Sprüche offen legen. Gegendemonstrationen reichen nicht. Auch in Potsdam passiert in dieser Richtung noch lange nicht genug. Immerhin gibt es auch hier einen DVU-Vertreter im Stadtparlament. Wie klappt die Zusammenarbeit von Stadt und Beirat? Herr Ke’ngum: Sehr gut. Sowohl mit dem Oberbürgermeister als auch mit den Stadtvertretern. Nur die Gruppen und Vereine, die sich Ausländerfragen widmen, zu koordinieren, macht einige Probleme. Es gibt verschiedene Interessengruppen, die alle von uns vertreten werden, Asylbewerber, ausländische Studenten, Spätaussiedler. Wir müssen versuchen, allen gleichermaßen gerecht zu werden. Was steht auf Ihrer Agenda für das nächste Jahr? Frau Gjoka: Mit dem neuen Zuwanderungsgesetz, dass 2005 in Kraft tritt, wird sich einiges ändern. Das Thema Abschiebung von Asylbewerbern wird eine noch größere Rolle spielen. Rund 450 Asylbewerber leben in Potsdam, im Heim oder in Wohnungen. Sie leben oft mehr als fünf Jahre hier und sollen dann zurück. Aber man kann Menschen nach so langer Zeit nicht dazu zwingen, in ihre Herkunftsländer zurückzugehen, gerade wenn sie dort zu einer Minderheit gehören. Was haben Sie außerdem vor? Herr Ke’ngum: Wir werden uns für Sprachkurse stark machen. Es soll auch weiterhin ein kostengünstiges, gefördertes Angebot für Asylbewerber geben. Unser Ziel ist auch, dass wieder mehr Förderunterricht in Grundschulen angeboten wird, die Stunden sind gekürzt worden. Und wir brauchen finanzielle Unterstützung für unsere Projekte, für interkulturelle Weihnachtsfeiern, für Aktionen bei der Interkulturellen Woche, Informationsveranstaltungen, bei denen wir fremdsprachige Potsdamer zum Beispiel über die Gesundheitsreform aufklären und so weiter. Dafür brauchen wir mehr Geld als die 1100 Euro, die uns bisher jährlich dafür zur Verfügung gestellt werden. Haben Sie auch Pläne zur Integration von Ausländern? Herr Ke’ngum: Wir haben vor, mehr Kontakte zwischen Potsdamern und den muslimischen Gemeinden zu schaffen, um gegenseitige Vorurteile aus dem Weg zu räumen. Und wir werden auch in Zukunft die Jüdische Gemeinde beim Finden einer Synagoge unterstützen. Frau Gjoka: Wir planen Patenschaften, die Einheimische für Asylbewerber übernehmen. Dabei geht es um regelmäßige Treffen, um eine Art Stammtisch, bei dem man sich näher kommt, sich kennenlernt. Potsdam hat in einem bundesweiten Wettbewerb einen Preis für seine Integrationsarbeit bekommen. Warum soll man nicht auch innerhalb der Stadt einen solchen Preis ausschreiben? Die Fragen stellte Marion Hartig
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