Landeshauptstadt: Regen zum Parteitag
Werner Berth erlebte fünf deutsche Regierungssysteme. In der DDR sagte er im Fernsehen das Wetter an
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Wenige Wochen nach seinem 95. Geburtstag am 17. Januar schiebt Werner Berth eine Videokassette in den Geräteschacht und drückt auf „Play“. Das Regionalfernsehen hatte einen Beitrag über den Potsdamer ausgestrahlt und der Jubilar, der selbst Fernsehgeschichte schrieb, zeichnete ihn auf. Werner Berth war der DDR-„Wetterfrosch“ auf den Bildschirmen zwischen Kap Arkona und Fichtelberg. Von 1953 bis 1973 moderierte er genau 1152 Wettersendungen, immer kurz vor Beginn der zentralen Nachrichten des DDR-Fernsehens, der „Aktuellen Kamera“. Zufrieden blickt der greise Mann auf sein Ebenbild, die kurze Sendung über seine TV-Vergangenheit gefällt ihm. Die Kamera zeigt Werner Berth, wie er sich an seinem Computer, den er sich noch mit 85 Jahren zulegte, Bilder von Wettersatelliten ansieht, die er auf Wetter-Seiten im Internet findet. Der Sprecher informiert, dass Werner Berth fünf Kinder, 15 Enkel und 17 Urenkel hat und wünscht dem Wetter-Veteran zu seinem 95. Geburtstag „ein immerwährendes Hoch“ .
„Nun sind es genau 17-einhalb Urenkel“, ergänzt Berth schmunzelnd und bittet darum, laut zu fragen, denn er höre nicht mehr so gut. Laute Fragen also an einen, der 1911 in Halberstadt geboren wurde und nun als greiser Mann Jahre nach der Jahrhundertwende auf ein exemplarisch deutsches Leben in fünf Regierungssystemen zurück blickt.
Berth hat Bilder von den Kürassieren vor Augen, die noch vor Ende des deutschen Kaiserreiches 1918 an einem 27. Januar auf dem Domplatz von Halberstadt einen Zapfenstreich halten zu Ehren des Kaisergeburtstages. Otto von Bismarck trug auch die Uniform der Halberstädter Kürassiere, bemerkt Berth. Sein Abitur macht er 1929 zu Zeiten der Weimarer Republik. Als er sein Examen an der Universität Halle für das höhere Lehramt in den Fächern Mathematik, Geografie und Physik 1934 ablegt, hat Adolf Hitler bereits die Macht an sich gerissen. Die Nazipropaganda in der Schule dominiert, „das passte mir nicht“. Aus „innerem Widerstand, könnte man sagen“, tritt er keine Lehrerstelle an und ist eineinhalb Jahre arbeitslos. Ein Praktikum an der Wetterwarte Magdeburg macht Lust auf die Meteorologie als Beruf. Er bewirbt sich mehrmals beim Reichsamt für Wetterdienst in Berlin und wird zunächst nicht angenommen. Ohne Bezahlung macht er ein Hochschulpraktikum beim Reichsamt, seine Eltern unterstützen ihn. Das Amt stellt ihn an, nachdem er ein zusätzliches Examen in Meteorologie ablegt. 1937 tritt er in die Nazi-Partei NSDAP ein, „aus reinen opportunistischen Gründen“, wie Werner Berth sagt. Er habe sich nichts vorzuwerfen. Der Rat für den förderlichen Parteieintritt stammt von einem Onkel. Der ist mit einer Jüdin verheiratet, „mit ihr hat er später Selbstmord begangen“. Das Reich rüstet auf, seine erste Anstellung hat Berth in einem Fliegerhorst in Breslau. Er erinnert sich, welch ein Zufall, dort einen ebenbürtigen Mitspieler für das japanische Brettspiel „Go“ gefunden zu haben. „Ich galt in Deutschland unter den besten 20 als starker Spieler“, sagt Berth stolz.
1941 ist er Regierungsrat im Range eines Majors. Es ist das Jahr des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, in der Ukraine frieren ihm fast die Ohren ab. Er ist beratender Meteorologe für ein Geschwader. Berth nennt einen Flugzeug-Typ. Heinkel He 111.
Sind das nicht Bomber? Was wurde angegriffen? Städte auch?
Nein, Verkehrskreuzungen, militärische Anlagen. Der Regierungsrat fliegt auch in Wetterflugzeugen mit. Oft kommen sie vom Abwehrfeuer völlig durchlöchert vom Einsatz zurück. Es hätte ihn leicht treffen können, doch er hat Glück. Auch als 1945 in Bayern das letzte Aufgebot zusammengestellt wird, ein Todeskommando. Sein Commodore sagt, Berth, ich habe hier Ihre Abkommandierung, aber ich werfe sie in den Papierkorb.
Nach der Gefangennahme wollen die Amerikaner nicht 100 000 deutsche Offiziere aufpäppeln und entlassen alle, Ende Mai 1945 ist Berth wieder in Halberstadt. Nur durch Glück überlebte seine Frau mit den drei Kindern einen Bombenangriff. Zweieinhalb Jahre schleppt er Kohlensäcke. „Was soll“s, wir fangen wieder an“ ist seine Maxime. „Man schiebt sich selbst keine Schuld an den Verhältnissen zu.“ Die Kollegen achten den passionierten Geigenspieler. „Du schaffst zwar nicht viel, aber du tust, was du kannst“, erkennen sie an. Sie sagen aber auch, dass er weg muss von der Knochenarbeit. „Werner, auf die Dauer machst du dich kaputt!“
Dann arbeitet er in einer Firma, deren Chef er über das Geigespiel im Collegium musicum kennen lernt, der war „Humanist, kein Kaufmann“ und bezahlte seine Angestellten gut. Über die Firma bekommt er auch Lebensmittel, auch das ein großes Glück in der schlechten Zeit.
1951 wird er am Potsdamer Observatorium angestellt. Als in Berlin-Adlershof das DDR-Fernsehen auf Sendung geht, muss es auch einen Wetterbericht geben. Beim ersten Mal steht er noch hinter der Kamera, seit der zweiten Sendung am 22. Dezember 1952 davor. „Alle waren hypernervös, ich aber hatte kein Lampenfieber“, erinnert er sich. Wetterlagen frei vorzutragen ist er gewöhnt. Obwohl er jeden Abend zum Live-Auftritt vor der Kamera nach Adlershof fährt, zuerst durch Berlin-West, nach dem Mauerbau außen herum, erkennen ihn die Potsdamer nicht. Die schauen West-Fernsehen. In Urlaubsgebieten mit schlechtem Empfang kennen sie ihn, eine Frau droht scherzend mit der Faust wegen des schlechten Wetters. Seine Kinder kriegen ihn abends erst ab 1968 zu sehen, als sich die Familie ihr erstes Fernsehgerät kauft. 25 Mark bekommt er pro Sendung, später das Doppelte. Es geschah, dass sich vor Parteitagen obere Stellen des Staates gutes Wetter erbaten. Dem Ansinnen folgten die Potsdamer Wetterexperten nicht. „Wir haben unsere meteorologische Auffassung immer voll vertreten.“ Einmal begeht er aus Versehen „ein Kapitalverbrechen“. Er spricht live im DDR-Fernsehen von einem „Tief über St. Petersburg“, das zu Sowjetzeiten aber noch Leningrad heißt. Der Lapsus bleibt ohne Konsequenz. Nach einer nur mit Glück überstandenen Gallen-Operation kehrt er 1973 nicht mehr vor die Kamera zurück.
Wie man so alt wird wie er? Die Rezepte des Werner Berth: „Ich habe die Fähigkeit, abzuschalten“ – und „Disziplin und ein geregeltes Leben“.
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