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Jüdische Fakultät: „Regierung Platzeck sollte Zeichen setzen“

Der Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien, Julius Schoeps, sieht grünes Licht für die Einrichtung einer jüdisch-theologischen Fakultät an der Universität Potsdam. Er „zweifle keine Sekunde daran“, dass das rot-rote Brandenburger Kabinett in seiner Sitzung am Dienstag die Gründung beschließe, sagte Schoeps.

Stand:

Das Brandenburger Kabinett der rot-roten Regierungskoalition von Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) entscheidet am Dienstag - unmittelbar vor dem Gedenken an die Novemberpogrome 1938 - über die Errichtung der ersten jüdisch-theologischen Fakultät in der Geschichte der deutschen Wissenschaft. Der geschäftsführende Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam, Julius Schoeps, sprach am Montag in Berlin über die Bedeutung des möglichen Beschlusses.

Herr Professor Schoeps, nach monatelangem Ringen steht im Brandenburger Kabinett nun eine historische Entscheidung an, oder?

Schoeps:Die Idee der Gründung einer jüdischen Fakultät ist nicht neu. Seit 1836 steht diese Forderung im Raum. Rabbiner Abraham Geiger hat sie damals zum Maßstab für die Vollendung der Judenemanzipation erhoben. Auch ich habe mich sehr lange stark gemacht für eine Fakultät. 2012 wäre das richtige Datum für ihre Errichtung. Denn dann feiern wir 200 Jahre Preußisches Emanzipationsedikt, mit dem die Juden in Preußen zu Bürgern wurden.

Wie bewerten Sie die Bedeutung einer jüdisch-theologischen Fakultät für Deutschland?

Schoeps:Das Abraham Geiger Kolleg an der Universität Potsdam hat in den zwölf Jahren seines Bestehens gezeigt, dass es Weltspitze ist bei der Ausbildung von Rabbinern und Kantoren. Die jüdischen Gemeinden Deutschlands und weltweit brauchen diese Geistlichen dringend, sonst bleibt das Gerede von der Renaissance jüdischen Lebens in Deutschland reine Floskel. Es gibt hier die historische Verpflichtung, die jüdischen Ausbildungseinrichtungen im früheren
Preußen zu ersetzen: Das Seminar in Breslau von 1854 und die Hochschule in Berlin von 1872 sind beide durch die Nazis zerstört worden. Jetzt ist es moralisch geboten, ohne viel Erbsenzählerei endlich eine authentische Ausbildung für heute zu gewährleisten. Die Regierung Platzeck muss und sollte hier Zeichen setzen.

Glauben Sie, die Regierung Platzeck wird eine positive Entscheidung fällen?

Schoeps: Ich zweifle keine Sekunde daran. Das Kabinett entscheidet nicht nur darüber, ob Juden in Deutschland gleiche Wertschätzung und Anerkennung genießen, sondern ob auch für Juden das Prinzip der Rechtsgleichheit gilt. Der Wissenschaftsrat hat im Januar 2010 Empfehlungen für die religionsbezogenen Wissenschaften verabschiedet. Darin wurde eindeutig beschlossen: Die Theologien gehören an die Universität. Und: Sie müssen autonom agieren können.
Dazu gehört rechtlich glasklar eine autonome Stellung als Fachbereich, die Mitbestimmung der Religionsgemeinschaft bei den Berufungen von Professoren und das eigene Promotions- und Habilitationsrecht. Was Muslimen und Christen gewährt wird, kann doch niemand ernsthaft Juden vorenthalten wollen. Das ist eine Frage von Verfassungsrang.

Was sagen Sie zu dem Argument: Warum ausgerechnet in Brandenburg?

Schoeps: Auf die historische Verantwortung habe ich bereits hingewiesen. Aber ganz konkret ist doch nur in Potsdam die Chance gegeben, mit seinen über 300 Studierenden der Jüdischen Studien eine europaweit einzigartige Einrichtung für Jüdische Theologie zu schaffen. Wir können hier ein absolutes Alleinstellungsmerkmal schaffen. Dabei werden uns Bundesmittel helfen. Denn das Ganze ist im Kontext eines Zentrums für Jüdische Studien zu sehen, dass das Bundesforschungsministerium mit zehn bis elf Millionen Euro Anschubfinanzierung gegenwärtig errichtet. Die Berliner Universitäten und die Universität Potsdam sollen unter einem Dach ein weltweit einzigartiges Zentrum für jüdische Studien bilden. Wird die jüdisch-theologische Fakultät nicht errichtet, sehe ich auch das bundesgeförderte Projekt kippen. Denn Bundesministerin Annette Schavan (CDU) will - das hat sie ausdrücklich betont - den Bezug zur
akademischen Rabbinerausbildung. Berlin und Brandenburg wären gut beraten, diese Hochschulfördermittel nicht verloren gehen zu lassen.

Was wäre die Alternative?

Schoeps: Ich selbst bin Mitglied der Verhandlungsgruppe, die am 22. November Gespräche über einen Umzug des Abraham Geiger Kollegs nach Bayern führt. Auch andere Bundesländer haben Interesse signalisiert. Aber ich vertraue eigentlich fest darauf, dass sich die Landesregierung eine solche Blöße nicht gibt. Dann würde aus dem „Wunder von Potsdam“, wie Bundestagspräsident Norbert Lammert die Rabbinerausbildung in Brandenburg einmal genannt hat, eine wissenschaftspolitische Pleite ersten Rangs. Die erste und einzige jüdisch-theologische Fakultät Deutschlands gehört in die Hauptstadtregion. Im Verbund mit dem Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg erhielte damit Potsdam eine Einrichtung von internationaler Strahlkraft. 

Die Frage stellte Karin Wollschläger (KNA).

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